Ein Modell der gesunden Stimme von Britta Weinbrandt
Stimmen haben mich schon immer fasziniert. Den bewussten Weg in meine eigene Stimme begann ich während meiner Ausbildung zur Logopädin vor 25 Jahren. Unsere Sprecherzieherin war damals verblüfft, dass ich als private Britta ein total verhauchtes Stimmchen hatte, aber sobald ich z.B. ein Gedicht aufsagen durfte, ein Stimmvolumen aufbringen konnte, das mühelos einen ganzen Saal beschallte. Warum auch nicht? In meiner Logik war das ja sozusagen nicht ich, die da sichtbar war, sondern eine Rolle, die nichts von mir preisgab. Ich habe lang daran gearbeitet, die Kraft meiner Bühnenstimme auf meine persönliche Stimme zu übertragen, und es hat mich viel Mut gekostet, wirklich standfest und hörbar zu sein. Exzessives Theaterspielen hat mir beim Ausprobieren sehr geholfen. Meine Geschichte ist auf jeden Fall ein lebendiges Beispiel dafür, dass ein großer Teil der Persönlichkeit sich in der Stimme ausdrückt (nicht zuletzt bedeutet „per sonare“ ja „durchklingen“). Und dass es sich lohnt, bewusst daran zu wachsen.
Mein Herz schlägt seitdem für alle Menschen, die Schwierigkeiten mit ihrer Stimme haben. Das erste Seminar, das ich jemals ausgearbeitet habe, war demnach 2003 ein Seminar mit dem Titel „Körperarbeit und Stimme“. Dass Körperarbeit und Atmung die Schlüssel für einen physiologischen Stimmklang sind, war ein Geschenk für mich aus der Ausbildung. Im Laufe der Zeit hat sich mein Schwerpunkt in Richtung „Stimmprävention“ mit einem höheren individuellen Coachinganteil weiterentwickelt, und diesem Weg möchte ich auch als Arts & Change Coach eine Richtung geben. Natürlich kommen nicht alle Stimmprobleme aus dem Inneren, wie es bei mir war, es gibt schlicht Risikoberufe, in denen man leicht in eine chronische Stimmüberlastung geraten kann. Mein natürliches Habitat – das kommt aus meiner Qualifikation als Trainerin für alltagsintegrierte Sprachförderung – ist dabei meist die Kindertagesstätte. Ich bin allerdings speziell ausgebildet für die Lehrerstimme und es kommen auch immer wieder motivierte Lehrerinnen in meine Seminare.
Wir erarbeiten gemeinsam die Wirkfaktoren, die eine gesunde Stimmgebung bedingen. Als diese habe ich das stimmschonende Verhalten, die stimmfreundliche Umgebung und die positive Gesprächssituation herausgearbeitet, die es zu gestalten gilt. Beim Schreiben dieses Artikels erkannte ich, dass sich daraus ein schlüssiges und anschauliches Modell ergibt, das mir leicht fiel, zu visualisieren. Es ist in den Jahren eine beachtliche Ideensammlung zustandegekommen, die bestimmt auch zum Teil auf andere Berufe zu übertragen geht. Lehrer- und Erzieherstimmen jedoch sind allein durch die hohe Lärmbelastung (unter anderem in der Qualität von Düsenjets von bis zu 120 dB – in Turnhallen gemessen) besonders stark gefährdet.
Gestaltung einer stimmfreundlichen Umgebung
Um möglichst geringe Nachhallzeiten zu erreichen, ist glücklicherweise in den meisten Einrichtungen bereits ein Schallschutz eingebaut. Günstig sind niedrige Deckenhöhen. Ein gutes Raumklima bedeutet eine ausreichende Luftbefeuchtung – notfalls feuchte Handtücher auslegen – und Belüftung.
Viele helfen sich mit Schallschluckern wie gepolsterten Tischdecken oder Tischsets, Raumteilern, Wandbildern und Gardinen, auch Pflanzen werden dafür eingesetzt. Manche bekleben Stühle mit den Bildern der Kinder, um lautes Stühlewechseln und -rücken zu vermeiden. Geräuscharmes Spielzeug kann angeschafft werden oder zumindest Spielzeugkisten, die lautes Spielzeug wie Bauklötze beherbergen, mit einer Schallisolierung ausgelegt werden.
Für den Versuch, Hintergrundlärm mit erhöhter Lautstärke zu übertönen, gibt es sogar einen Namen: Lombard-Effekt. Ein Sprecher, der von anderen gehört werden will, muss ganze 15 dB über dem allgemeinen Schallpegel liegen. Das ist auf Dauer anstrengend. Wikipedia setzt den Begriff Lärmschutz „nicht gleichbedeutend mit dem Begriff Schallschutz. Schall ist eine messbare Größe. Erst durch nicht messbare individuelle oder sozio-kulturelle Aspekte wird Schall zu störendem Schall, zu Lärm.“ Um Schallpegel zu messen, muss man sich kein Profigerät anschaffen, es lassen sich dafür leicht Apps herunterladen. Reizüberflutung in Räumen zu vermeiden und ein Bewusstsein für die Geräuschkulisse zu schaffen, ist sehr hilfreich.
- Wenn die eigene subjektive Grenze erreicht ist, sollte man die anderen aufmerksam machen auf die Lautstärke (auch die anderen Mitarbeiter).
- Eine Erzieherin erzählte kürzlich von einem aus Tonkarton ausgeschnittenen „roten Ohr“, das an einem Stab befestigt für alle zugänglich an der Wand hängt und bei zu hoch empfundener Lautstärke eingesetzt wird. Und zwar sowohl von den Erwachsenen als auch von den Kindern. Für die Gruppe ist dies ein Zeichen, bitte leiser zu sein, und es wird gut akzeptiert.
- Eine Lärmampel macht eine objektiv zu hohe Lärmbelastung durch das rote Licht und ein akustisches Alarmsignal für alle fühlbar, es kann jedoch auch nach hinten losgehen, dass Kinder es als Sport betrachten, den Alarm auszulösen. Das sollte unter Umständen also nur dosiert eingesetzt werden.
- Am schönsten fand ich, als eine Erzieherin mir berichtete, sie würde einfach ein Lied singen, wenn es ihr zu laut würde, und alle Kinder im Raum machten dann automatisch mit, egal, was sie gerade täten. Danach sei es immer ruhiger als vorher. Dies funktioniere auch beim Tischdecken.
Laufwege kann man gezielt versuchen, zu vermeiden. Gleichzeitig müssen natürlich Bedingungen geschaffen werden, in denen die Kinder laufen, schreien, rennen… dürfen. Ein Faktor einer besonders leisen Stimme kann auch sein, dass uns selbst in der Kindheit das Laut-sein-dürfen abtrainiert wurde. Dem sollten wir in der Folgegeneration entgegenwirken. Viel rausgehen also. Oder im Nebenraum für die Kinder alternative Möglichkeiten anbieten. Kleingruppenarbeit verringert ebenfalls die Belastung deutlich.
Entspannungsphasen sind ebenso als Stimmschonung zu betrachten. Sprechpausen sind wertvoll und können bewusst zu Schweigeminuten ausgedehnt werden.
- Die klassischste Stilleübung, die jedem zuerst einfällt, ist Stille Post.
- Wir können sie auch zu wunderschönen Ritualen werden lassen, z.B. indem jedes Kind nacheinander Seidenpapier in eine gläserne Wasserkaraffe fallen lässt und schweigend beobachtet, wie die Farbe sich mit dem Wasser vermischt.
- Oder die Kinder hören regelmäßig (mit steigerbaren Zeitlängen – anfangs nicht mehr als eine Minute) mit geschlossenen Augen bei geöffnetem Fenster, was sie dort alles wahrnehmen.
- Oder sie lauschen bewusst dem verklingenden Ton einer Klangschale oder Triangel nach.
- Ich liebe auch den Schreibtanz, bei dem zu Musik großflächig mit beiden Händen gleichzeitig gemalt wird.
- Oder die Kinder zünden nacheinander Stillekerzen an, die zum Beispiel in einer „Adventsspirale“ abgestellt werden.
- Weitere Aktivitäten wie Fußmassagen oder die Arbeit mit Igelbällen können eingeführt werden.
- Auch Bewegungsangebote wie Kinderyoga oder Eurythmie wirken stimmschonend.
- Snoezelen bedeutet viel Sensorik, Licht, Duft, leise Musik, selbst ein Wasserbett ist denkbar.
- Das tickende Ei aus „Häuptling Wackelnix“, das bei zu starker Erschütterung in Gelächter ausbricht, kann ebenso eingesetzt werden.
- Eines meiner beliebtesten Spielideen ist und bleibt meine Kiste mit den dreizehn Eieruhren, die ich alle gleichzeitig tickend im Raum verstecke und wieder auffinden lasse – da muss man automatisch leise sein…
- Oder die Kinder stellen sich vor, eine bestimmte Pflanze zu sein. Womit wir bei den klassischen Entspannungs- und Traumreisen angekommen sind.
Achtsamkeit ist in der Erwachsenenwelt das neue Zauberwort, die Grundlage aller Stimmarbeit ist die Wahrnehmung (wie soll ich sonst was ändern können?). Entspannung zu erfahren ist demnach generell eine der größten Stellschrauben für eine wohlklingende Stimme.
Kritisch sind immer die Übergänge von einer Aktion in die nächste, da die Kinder über etwas informiert oder zu etwas zusammengetrommelt werden müssen. Mit diesem Wort ist jedoch schon die stimmfreundliche Lösung angedeutet:
- Werden akustische Signale eingeführt, muss nicht zum Aufräumen gerufen werden, sondern die Kinder kommen, wenn die Klangschale ertönt. Die Klingel (z.B. aus Halli Galli) bedeutet, dass der Morgenkreis beginnt, eine afrikanische Harfe ist das Signal zum Zuhören, die Trommel ruft zum Sport, der Gong lädt zum Essen ein. Die Einsatzmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos.
- Ebenso eignen sich Mimik und Gestik. Handzeichen wie der „Leisefuchs“ sind sehr bekannt (aber neuerdings umstritten, da eine rassistische rechtsextreme Gruppierung in der Türkei sie verwendet und Kurden dadurch unnötig provoziert werden. Als Ersatz nehmen manche das Victory-Zeichen oder „alle Finger hoch“). Wenn die Hände in einem großen Kreis auf Bauchhöhe zusammengeführt werden, kann dies ein Symbol zum Versammeln in der großen Runde sein. Viele bringen den Kindern das „Stopzeichen“ mit der ausgestreckten Hand am ausgestreckten Arm zur Konfliktvermeidung (und somit Lautstärkereduktion) bei.
- Anhand bestimmter Linien/Bodenmarkierungen kann verdeutlicht werden, ab wann z.B. schnelleres Laufen erlaubt ist (oder eben nicht).
- Leises Runterzählen ist möglich.
- Klatschspiele können als Aufforderung mit erwarteter Klatsch-Antwort gestaltet werden.
- Ich kann auch die Erwartungshaltung der Kinder ausnutzen, indem ich ein Signal durch Hinsetzen gebe oder durch Einfrieren in der Position, in der ich mich gerade befinde, bis alle es wahrgenommen haben und gefolgt sind.
- Ich kann ebenso die eigene Stimme senken, um den Außenlärm zu senken oder erst reden, wenn alle leise sind, um die Kinder dadurch erst leise zu kriegen.
Bewusste Körperpräsenz kann solche Strahlkraft entwickeln, dass alle mich anblicken „müssen“. Existentiell ist eigentlich, dass ich den Kindern ganz klare Regeln setze, damit sie noch im Schlaf wissen, was bei welchem Signal zu tun ist, und zwar vorzugsweise von Anfang an. Schließlich geht es – wie in eigentlich allen Lebenslagen – auch darum, den Kindern mit dem eigenen Verhalten ein Vorbild zu sein.
Mit den letzten Beispielen sind wir schon ein wenig bei den Faktoren gelandet, die ich durch mein persönliches Verhalten steuern kann. Schnittstelle zwischen diesen beiden Bereichen der stimmfreundlichen äußeren Umgebung und meinen eigenen stimmschonenden Aktivitäten ist definitiv die Selbstfürsorge. Wie viel ist mir meine Stimme wert? Wie viel bin ich bereit, selbst dafür zu tun, dass es mir – und somit auch meiner Stimme – gut geht (nicht umsonst besteht eine Wortverwandtschaft zwischen „Stimme“ und „Stimmung“)? Erst dann nämlich komme ich auf die Idee, mir dafür aktiv günstigere Voraussetzungen zu schaffen.
Auch in meinem Podcast habe ich mich dem Thema Selbstfürsorge angenommen.
Passe ich erst auf mich auf, wenn ich schon Probleme mit meiner Stimmbelastbarkeit wahrnehme, oder achte ich bereits von Anfang meines Berufslebens an darauf, meine Stimme zu schonen? Obwohl fast 60 Prozent der Lehrer im Laufe ihres Berufslebens aufgrund einer Stimmstörung einmal arbeitsunfähig werden, kommt es ja leider erst schleppend in der Ausbildung von Pädagogen an, dass man da nicht nur präventiv vorgehen könnte, sondern das auch sollte. Ich freue mich daher, dass ich vor einiger Zeit erstmals an einer Erzieherfachschule Stimmprävention als Wahlpflichtfach „unterrichten“ durfte. Denn man kann sich nur präventiv schützen, wenn man weiß, wovor! Aber wie kann das nun gehen?
Stimmschonendes Verhalten
Bei allem, was ich hier zusammenfasse, möchte ich vorab noch einmal deutlich herausstellen, dass es sich wirklich um Prävention handelt. Hinweise auf eine sich entwickelnde oder bereits bestehende Stimmstörung sind u.a. beginnendes Stimmversagen, Räusperzwang und Heiserkeit, und diese sollte nicht länger als drei Wochen dauern. Bei Verdacht empfiehlt sich unbedingt eine Vorstellung beim Phoniater. Dann helfen die folgenden Maßnahmen nicht mehr nur ohne längerfristige therapeutische Unterstützung.
Das wichtigste zu wissen ist sicherlich, dass die Stimmkraft nicht allein aus dem Kehlkopf geholt, sondern mithilfe des ganzen Körpers gebildet wird. Hier gilt es, einerseits „von unten“ unter dynamischem Einsatz des Zwerchfells aus einem guten Bodenkontakt heraus in eine gute Vokalisation zu kommen, als auch diese „von oben“ durch ausformulierte, entspannte Sprechbewegungen zu unterstützen. Ich werde häufig belächelt, wenn ich von Pädagogen als „Berufssprechern“ rede, aber die Stimme wird nun mal deutlich benötigt! Jeder Sportler weiß, dass er vor seiner nächsten Höchstleistung Aufwärmübungen, ja sogar anschließend Cooldownübungen einsetzen muss, um keine Probleme mit seiner Muskulatur zu bekommen. Die Stimmlippen sind auch Muskeln….
- Eine gute Körperspannung, die nicht zu schlaff aber auch nicht überspannt ist, wird von einer aufrechten Körperhaltung unterstützt, die weder eingesunken noch überstreckt ist.
- Standfestigkeit, also mit beiden Beinen bewusst auf dem Boden zu stehen, die Knie dabei locker zu halten und an ein lockeres Kiefergelenk zu denken, begünstigt eine ebenfalls lockere Stimmgebung.
- Es genügt, morgens und zwischendurch kurze aktivierende Bewegungseinheiten einzubauen, und wenn ich mich nur kurz mit den Händen von Kopf bis Fuß abklopfe oder meine Arme hin und her schwinge.
- Es wäre wünschenswert, sich für diese kurzen Übungen eine, gern auch mehrere, feste Tageszeiten zu etablieren.
- Bewusstes Gähnen ist sehr hilfreich und vertieft die Atmung.
- Atemübungen vielfältigster Arten dürfen schamlos aus allen Bereichen geklaut und eingesetzt werden, gern auch aus dem Gesangstraining und dem Yoga.
- Flüstern ist keine Stimmschonung und strapaziert die Stimmlippen enorm. Lieber leiser sprechen.
- Dasselbe gilt für Räuspern, das starke Reibung und Reizung erzeugt. Lieber Husten.
- Die physiologische Sprechstimmlage ist durch die Länge der Stimmlippen bestimmt. Unter Belastung verlieren wir sie manchmal, deswegen ist es sinnvoll, sich auf sie zurückzubesinnen. Dies geschieht durch genüssliches Kauen, wodurch der mühelose, uns natürlich gegebene Stimmklang entstehen kann. Ein „mmh“ kann man auch beim Telefonieren beim Signalisieren des Zuhörens, als bewusste Stimmübung ansehen.
- Man kann mundmotorische Übungen mit den Kindern mitmachen (das wird mein nächster Artikel werden).
- Lutschbonbons helfen und werden häufig genannt, z.B. GeloRevoice, Emser Salze, Isla Moos. Von Eukalyptus und Menthol wird abgeraten.
- Es sollte auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, 2-3 l täglich.
Das wichtigste Element bei allen genannten Beispielen ist es, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wahr- und ernstzunehmen, und sich vielleicht auch einmal zu erlauben, sich aus der Gruppe abmelden und zurückziehen zu können, um in eine wirklich erholsame Pause zu gehen. Mir wird z.B. häufig von bewusst gestalteten Toilettengängen mit kurzen Entspannungs- und Bewegungsmomenten berichtet, die ja offenbar schwierig genug zu organisieren sind. Allein für einen kurzen Augenblick den Atem wahrzunehmen, kann Wunder wirken.
Bislang wurde eher von Situationen innerhalb einer Kinderhorde gesprochen. Was die Mitteilungen an eine Gruppe angeht, so hilft
- direkte Ansprache
- kürzere Sätze zu sprechen
- nicht so viel zu erklären
- zielorientiert zu sprechen
- Sprechpausen zu setzen.
Bei den folgenden Hinweisen, die ich gesammelt habe, geht es bereits um den Dialog, häufig in der Einzelsituation mit den Eltern, aber auch mit den Teamkolleginnen. Und wenn ich etwas gelernt habe, dann dass in Seminaren, in denen es um Kommunikation im allgemeinen geht, sehr oft die Gefühle hochschaukeln. Da geht es um ein Kind, das einem am Herzen liegt, und man erwünscht sich für eine gute Entwicklung von den Eltern eine bestimmte Intervention – und diese lassen nicht mit sich reden oder sehen die Sache ganz anders. Das verursacht zusätzlichen Stress. Aus der Reflexion meines Wirkens als Logopädin heraus bin ich der tiefen Überzeugung, dass die meisten zwischenmenschlichen Probleme Ausdruck mangelnder oder unzureichender Kommunikation sind. Eine zusätzliche Herausforderung sehe ich in einem gelassenen Umgang mit beteiligten Emotionen.
Deshalb sehe ich ganz klar Stressregulation als die Schnittstelle zu einer idealen Gesprächssituation. Nur wenn ich sozusagen in meiner Mitte ruhe, kann ich die stressbedingten Fluchtimpulse der galoppierenden Emotionen, die die Atemfrequenz und die Muskelanspannung erhöhen, umwandeln und in einer entspannten Atemtiefsetzung bleiben. Da dies sehr viel mit der Stimmgebung zu tun hat, macht es für mich den dritten großen Faktor aus, an dem pädagogische Fachkräfte etwas für ihre Stimme tun können. Daher frage ich sie regelmäßig, was sie sich denn für ein phantastisch laufendes Gespräch wünschen. Die Antworten klingen sehr schön.
Idealer Gesprächspartner und optimale Gesprächssituation
Stimmige Rahmenbedingungen sind bereits durch angemessene Räumlichkeiten mit einem angenehmen Raumklima geschaffen. Einen Gesprächsrahmen setzen eine gute Begrüßung und Verabschiedung mit Zusammenfassung des Gesagten. Eine gute Vorbereitung und gute Beziehung zum Gesprächspartner geben Sicherheit. Gegenseitige Sympathie wäre schön. Es geht um ein Miteinander in entspannter Atmosphäre, mit gelebter Offenheit und Empathie, in der alles in Ruhe und Gelassenheit angesprochen werden kann. Auf momentane Befindlichkeiten wird geachtet. Es gibt Pausen.
Die Sprecher selbst sind sich gegenseitig ein Vorbild. Sie halten freundlichen Augenkontakt und respektieren und wertschätzen sich. Sie reden in angemessenem Sprechtempo, artikulieren deutlich verständliche Laute in angenehmer Lautstärke, verwenden einen differenzierten Wortschatz und sprechen strukturiert und in nachvollziehbarer Reihenfolge logisch aufeinander aufbauend auf ein Ziel hin, erzählen zusammenhängend. Sie atmen dabei. Die Sätze sind kurz.
Selbstverständlich zeigen sie Sprechfreude, setzen nonverbale Zeichen ein, lebendige Mimik und unterstreichende Gestik. Man hört ihnen gern zu, denn sie verwenden Betonung und Sprachmelodie. Zuhören geschieht aktiv und intensiv, das Gespräch wird in einem Dialog fließen gelassen, in dem jeder zu Wort kommt, den anderen ausreden lässt, und auch einmal „aushalten“ kann, auf die nächste Redezeit zu warten. Inhalt geht strikt vor Form. Es gibt nicht zu viele Fragen, und wenn, dann werden offene Fragen gestellt.
Die wirkliche Professionalität zeigt sich auch hier in der Selbstfürsorge, durch Eigenstärkung und Loslassen: Die Verantwortung für den Gesprächsausgang kann abgegeben werden, indem z.B. ein Gesprächsprotokoll unterschrieben wird. Die pädagogische Pflicht ist jedenfalls mit der Gesprächsführung an sich getan.
Daher ist meines Erachtens die hier anschließende Schnittstelle die Gesprächskultur, in der jede pädagogische Fachkraft innerhalb ihrer Einrichtung eingebettet ist. Und die wird meist von der Leitung bestimmt. Das allgemeine Arbeitsklima ist für den Wohlfühlfaktor und somit für den Erhalt einer gesunden Stimme nicht zu unterschätzen.
Ich danke allen Teilnehmerinnen der Seminare „Stimmprävention für pädagogische Fachkräfte“ für ihre tatkräftige Unterstützung.