Britta Weinbrandt - Plädoyer für das kreative Schreiben

Ein Plädoyer für das kreative Schreiben

Warum fängt eine freiberufliche Logopädin, die ein zweites Standbein als Dozentin und ein weiteres Spielbein als Playing Artist und Coach hat und sich vor Aufträgen kaum retten kann, also nachweislich keine Zeit hat, an zu schreiben?

Die Antwort ist ganz einfach: Weil ich wirklich gern schreibe und – wie mir immer wieder zurückgemeldet wird – wohl auch außergewöhnlich viel lese. Ich habe eine unfassbar große intrinsische Motivation, mich in spannende Themenfelder hineinzuarbeiten. Und das muss ja mal irgendwo landen!

Ich bin immer noch jederzeit dankbar für jedes neu zu entdeckende Themenfeld, das Teilnehmer meiner Fortbildungen sich von mir wünschen. Das bedeutet, dass ich ganze Meter im Bücherregal zu bestimmten Themen durchgearbeitet und mit dem Besuch passender Fortbildungen vertieft habe. Ich brauche das. Ich möchte diesen Webseite nutzen, um mich mit meine Arbeit und Lebenswelt betreffenden Themen auseinandersetzen zu können, um sie letztendlich für mich neu aufzubereiten. Und warum sollen andere nicht an meinen Zusammenfassungen, Erfahrungen und Gedanken teilhaben?

Das führt aber auch dazu, dass ich sehr häufig, wenn ich auf einen interessanten Blogtitel klicke und denke, dass mein Lesehunger nun gestillt würde, mit einer gewissen Enttäuschung zurückbleibe, wenn dieser nach wenigen Sätzen endet und mir klar wird, dass ich bereits vor dem Lesen mehr über das Thema wusste als nachher. Ich habe nie verstanden, wofür ein solcher Blog gut sein soll. Auch hier möchte ich IMMER ALLES berücksichtigt sehen. Ich werde mich also weder inhaltlich noch thematisch reduzieren.

Ich konnte schon immer besser denken, wenn ich etwas aufgeschrieben hatte, konnte mir ein Fremdwort oder ein neues englisches Wort besser merken, wenn ich es geschrieben hatte oder zumindest wusste, wie man es schreibt. Das führte dazu, dass ich irgendwann mal darauf aufmerksam gemacht wurde, dass ich tatsächlich ohne es zu merken mit den Fingern in die Luft schreibe. Scheint mir zu helfen.

Ich führe auch immer irgendwelche Listen, gerne To-Do-Listen. Ich nutze Schreiben zur Entscheidungsfindung. Unvergessen ist die Pro- und Contra-Liste, anhand derer mir klar wurde, dass ich mit meinem damals noch ungeborenen ersten Sohn nur in meiner Muttersprache Friesisch würde reden können – egal, wie viele Kilometer ich von meiner Heimatinsel Föhr weg bin und dass niemand sonst in der Umgebung diese Sprache spricht. Aber da stand eben auf der Pro-Seite alles, was mit mit positiven Gefühlen, mit dem Herzen zu tun hatte, und auf der Contra-Seite nur irgendwelche diffusen Ängste und Befürchtungen. Schwarz auf Weiß lag die Lösung vor mir.

Ohne Notizbuch gehe ich kaum aus dem Haus. Ich führe außerdem Tagebuch, seit ich fünfzehn bin, und einiges davon kann ich heute noch gut lesen. Schreiben lässt mich nicht vergessen, Schreiben strukturiert mich. 

Britta Weinbrandt - Kreatives Schreiben - Luzides Schreiben

Ich versuchte mich also irgendwann auch in kreativem Schreiben. Ein paar Geschichten brachte ich für den friesischen Erzählwettbewerb „Ferteel iinjsen“ zu Papier, z.B. war  „Wüfensbeschük“ die erste.

Als ich davor einmal Julia Camerons zwölfwöchiges Kreativitätstraining „Der Weg des Künstlers“ durchgeführt hatte, hatte ich ein wohl eher ungewöhnliches Erlebnis gehabt. Bis heute nutze ich in intensiven Arbeitsphasen ihre Idee, per „Morgenseiten“ mir alles ungefiltert und unzensiert von der Seele zu schreiben, was im Kopf herumschwirrt, bevor ich mich an etwas heransetze. Bei der Aufgabe, mir einen positiven Brief aus der Zukunft und einen aus der Vergangenheit zu schreiben, hatte ich gerade angesetzt, ein paar fiktive Dankessätze an mich aus meiner Kindheit zu formulieren, als – offensichtlich – mein Inneres Kind die Führung über meine Hand übernahm und sich weigerte, weiterzuschreiben. Meine Hand blockierte dermaßen, dass ich seitenweise einfach nur Kreise kritzeln konnte, die bis auf die nächsten Seiten durchdrückten, weil sie sich erst freischreiben musste. Anschließend schrieb mein Inneres Kind mir unverblümt und negativ, wie es ihm wirklich ging, und teilte mir auch mit, was es von mir brauchte.

Britta Weinbrandt - Begegnung mit dem inneren Kind

In den folgenden Monaten kamen schließlich auch andere Persönlichkeitsanteile meines Inneren Teams zu Wort, woraus sich zunehmend Schreibdialoge ergaben. Im weiteren Verlauf konnte ich einfach auf einem Blatt eine Frage formulieren und meine Hand schrieb mir eine Antwort dazu auf. Mir ist klar, dass das vielleicht schräg klingt, aber es erklärt hoffentlich meine unbedingte Überzeugung, dass Schreiben befreit, dass es tiefere Persönlichkeitsschichten aufdecken kann, dass man sich selbst dadurch ein Stück besser kennenlernen kann und dass es wirklich auch gesund ist, es einfach zu tun.

Inzwischen nehme ich auf diese automatisch schreibende Art und Weise sogar Kontakt auf mit meinen Vorfahren. Die Ahnenheilung ist ein weiterer Baustein meines Selbstheilungsprozesses geworden. Die Verbindung mit einem meiner Ururopas half mir durch eine Krise, als diese wunderschöne Weisheit durch meine Hand aufs Papier floss : „Wenn du dir schon die Frage stellst, ob du in einem Feld du selbst sein kannst – dann ist es nicht dein Feld. Denke größer. Erschaffe dein eigenes Feld.“ Das hätte ich so nie formulieren können! Nehme ich mir sehr zu Herzen.

Einmal machte mich eine Händigkeitsberaterin zwischen Tür und Angel darauf aufmerksam, dass sie mich ja wohl nicht zu diagnostizieren bräuchte und gab mir die Aufgabe, selbst darauf zu achten, wie viel ich mit der linken Hand mache. In der Grundschulzeit hatte ich einen Kampf durchlebt, aus dem Gekrickel, das ich – meine Linkshändigkeit nicht ahnend – nur zustande brachte, eine weiche und fließende Handschrift zu formen. Daher war ich eigentlich dagegen entschieden, eine Rückschulung auf eine Linkshänderschrift zu beginnen. Die Schwungübungen aber, die ich mit Wachsmalern mit meiner ungeschickten linken Hand ausführte, fühlten sich so wunderbar an, dass ich dann doch weitermachte. Mein Fazit ist, dass es sich auch auch auf rein motorischer Ebene einfach gut anfühlt, Schreibbewegungen zu machen. Später lernte ich dann den „Schreibtanz“ kennen, bei dem man beidhändig Stifte zur Musik an der Wand auf riesigen Papieren bewegt, und das ist tatsächlich sehr angenehm und befreiend.

Es ist also nicht nur das Schreiben an sich, sondern auch das Schreiben mit der Hand insbesondere, das mich antreibt. Die Kinderbuchautorin Cornelia Funke beschreibt in einem Zeit-Interview: „Als ich zum ersten Mal wieder mit der Hand ein Manuskript verfasste, hatte ich das Gefühl, dass mir jemand das Spielen zurückgegeben hatte. Die Hand macht einem deutlich, dass man mitten im Formulieren und Kreieren steckt.“ Sie stellt dabei auch die Freiheit heraus, die in der „Ineffizienz“ des Handschriftlichen liegen kann. Ich selbst habe sogar schon beim Gehen etwas verfasst:

Gehgedicht - Arts and Change-Coaching Britta Weinbrandt

Dabei ist es mir gar nicht wichtig, dass unbedingt etwas Produktives dabei herauskommen muss. Im Gegenteil mache ich es wirklich eher für mich selbst und nutze den kreativen Prozess des Schreibens für andere Dinge, die dann freigesetzt werden.

Große Nachwirkungen bis heute hatte ein Workshop „Art in Nature“, den ich im Rahmen meines Studiums mitgemacht habe. In der wüsten Dünenlandschaft Fuerteventuras erhielten wir die Aufgabe, etwas zum Thema Grenze/Grenzenlos zu gestalten. Ich hätte ein Muster in den Sand ritzen können, aber mir kamen Worte. Die ich in mehreren Durchgängen in meinem Tagebuch neu sortierte und zusammenstellte.

Für mich ist in dem spontan entstandenen Text plötzlich der Titel enthalten gewesen, den ich viele Monate später schließlich meinem Blog – den ich eigentlich Artikelsammlung nennen sollte – geben „musste“. Und darüber brauchte ich nicht mehr lange nachzudenken. Und das ist genau der Punkt! Das, was daraus entstehen kann, wenn man sich einem Schreibfluss hingibt. Ich traue mich mal, den Text an dieser Stelle zu veröffentlichen. Wie man unschwer merkt, hat er nur für mich eine spezielle Bedeutsamkeit.

Time
The final frontier
Doctor, Doctor, gimme the news
Bin ich frei?
Bin ich brtt?
Bin ich im Hier und Jetzt?
Bin ich zu intensiv?               
Will ich zuviel?
Jümmers mit’n Kopp döör de Wand?
Wo fange ich an und wo höre ich auf?
If I could save Time in a Bottle –
würde ich das wollen?
A Tear through the Fabric of Time –
brauche ich das?
Was brauche ich, um mich wohlzufühlen?

Spiegelneurone nerven
Mitschwimmen oder mitgerissen werden
Schwimmen im Brit Pool
Sometimes I feel…
IMMER ALLES

Wibbly Wobbly Timey Wimey
Jede Entscheidung, die ich treffe,
kreiert ein Paralleluniversum

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser
No trespassing
No crowdsurfing
No woman no cry –                   
It’s a bit more complicated than that

Und was soll die Telekom von mir denken?

Finde Pogo auf der Metaebene
Dauer Wechsel Nähe Distanz
fluide kristallin transparent opaque
Die Erfolgreichen sagen: Fuck off!

I’m holding the key (to the TARDIS)
Was ich brauche ist
– unvermittelten Ausbruch in Tanz und Gesang
– Freiheit im Innen
– selektiv-aggressiven Kakofeminismus

Worse than everybody’s Aunt –
Die Grenze bin ICH.

Vielleicht erkennt der eine oder andere Eingeweihte höchstens, dass ich damals offensichtlich viel Dr. Who geguckt habe… Worum es hier hauptsächlich geht, ist der Effekt, den dieser Text für mich hatte. Ich nutze das kreative Schreiben (und nicht nur das) häufig auch in meinen Seminaren, um neue Themen auf persönliche Art einzuführen und gleich in die Tiefe zu gehen.

Oft sind mir schon die Tränen gekommen, aus Rührung oder vor Lachen, wenn jemand sich anschließend traute, seine Worte vorzutragen. Ich habe bereits Pamphlete vernommen, Gedichte, ein Märchen, einen Werbetext, eine Liste, Oden oder sogar ein selbst erstelltes Kreuzworträtsel. Ich bin stets reich beschenkt worden.

Britta Weinbrandt - Kreatives Schreiben - Kühlschrankmagnete

Ich möchte diesen Funken, den mir das Schreiben eröffnet, gern weiter in die Welt tragen.

Also habe ich mir vorgenommen, mich ebenfalls zu trauen, mit meinen Texten auch mal in die Öffentlichkeit zu gehen. Mit meinen Selbstzertifizierungen habe ich Jahre später einen zu mir passenden Weg dafür gefunden.

Ich gebe in meinem Selbstzertifizierungskurs Impulse und ich schreibe Artikel über genau die Dinge, die mich beschäftigen. Und da bin ich nicht eingeschränkt. Das kann IMMER ALLES sein.

Als Museumsjunkie, Spiel- und Theaterpädagogin, als Playing Artist und und in meinem Studium des kunstanalogen Coaching habe ich vielfältige Erfahrungen mit angewandter Kunst gemacht.

Ich habe eine Neigung zu bunten Assoziationsketten und lasse mich gern selbst überraschen, wo ich als nächstes lande.

Das Feld, auf dem ich mich momentan austobe, ist das der Träume. Ich habe das luzide Träumen für mich entdeckt und darüber kam ich zu Clare Johnson und dem luziden Schreiben.

Der Unterschied, den das Eintauchen in mein eigenes Unbewusstes für mich macht, ist enorm. Anstatt andere Menschen zu befragen, was denn dies oder das Traumsymbol oder Symptom oder welche Lebensäußerung auch immer symbolisch bedeuten möge, erfahre ich hier eine Möglichkeit, ganz in mein eigenes Inneres abzutauchen.

Für mich ist ganz klar: Es bringt mir nichts, in irgendwelchen Büchern nach Lösungen zu suchen, oder in Listen zu gucken, wie jemand anders das, das mir widerfährt, wohl interpretiert.

Die Bedeutung, die mein Leben für mich hat, die kann ich nur selbst ihm geben.

Und ich tu das schreibend.