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Raus aus der Lebensfalle

Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

Jeffrey Young hat in den Neunzigern sogenannte Lebensfallen formuliert. In „Reinventing Your Life“ beschreibt er, wie er an seinen Patienten, die keine nennenswerten Fortschritte in ihrer Therapie machten, bestimmte wiederkehrende Muster beobachtete, die er Schemata nennt. Ein Schema besteht aus dem Zusammenspiel von Erinnerungen, Gefühlen, Gedanken und Körperwahrnehmungen. Früh in der Kindheit oder Jugend dienen sie dem Überleben und helfen uns, uns selbst zu beruhigen. Doch irgendwann prägen sie unser Selbstbild und sie brennen sich in Form von Glaubenssätzen über das Leben so stark als Grundgefühl fest, dass wir unsere Kindheitserfahrungen selbst in unserem erwachsenen Leben immer wieder zu wiederholen scheinen. Freud hat das bereits erkannt.

Durch meine Selbstzertifizierungen habe ich mich voller Selbstmitgefühl einigen dieser Muster liebevoll zugewandt und sie aufspüren können. Ich bin durch das Buch „Der achtsame Weg zum Selbstmitgefühl“ von Christoph Germer auf die Schemata gestoßen. Bevor ich zu der Aufzählung dieser Lebenswunden komme, ein Wort zur Praxis damit:

Germer verweist auf die „Emotionale Alchemie“ von Tara Bennett-Goleman, deren Vorschläge zum achtsamen Umgang mit den Schemata ich in ihre Beschreibungen eingewoben habe. Beide schlagen vor, dass wir unser selbstzerstörerisches Denken entlarven können, indem…

1. …wir achtsam zur Kenntnis nehmen, was gerade geschieht – welche Empfindungen allein schon beim Durchlesen der folgenden Auflistung unserem Körper ausgelöst werden

2. …wir uns öffnen für die Gefühle und wirklich zulassen zu spüren, welche Emotionen damit verbunden sind. Verlassenwerden löst Angst aus, Misstrauen Wut, Deprivation tiefe Traurigkeit. Was ist es jetzt in diesem Moment?

3. …wir unsere Gedanken registrieren. Was denken wir wahrscheinlich, was kommentieren wir für uns selbst, was passiert ist und was wir getan haben? Was ist es, das wir uns immer wieder sagen, um diese Lebensfalle zu nähren?

4. …wir uns auf die Bilder einlassen, die erscheinen. Haben wir ähnliches schon früher erlebt? Erinnert uns das an Geschehnisse und Gefühle aus der Kindheit?

5. … wir herausfinden, wir wir uns typischerweise verhalten, wenn das Muster aktiv ist. Gibt es Übereinstimmungen mit ähnlichen Reaktionen? Gibt es ein verwandtes Schema?

Germer empfiehlt, man möge sich ein Schema herausgreifen, das im Leben vorherrscht, und für eine bessere Wirkung eine Situation aufschreiben, in der es wahrscheinlich aktiviert wird. Das Erkennen unserer Schemata ist Achtsamkeit, und wenn wir inmitten eines aktiven Schemas freundlich zu uns sind, dann ist das Selbstmitgefühl. Selbst das Erkennen eines Schemas und das Benennen der begleitenden Gefühle ist bereits eine effektive Methode, um einen ganzen Komplex destruktiver Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen in einem Augenblick freundlichen Gewahrseins aufzulösen.

Deswegen haben mir meine Selbstzertifizierungen auch geholfen – sie brachten noch dazu eine Prise Humor dazu.

Da solche Lebensfallen sich fast immer aus gestörten Beziehungs- oder Bindungserfahrungen entwickeln, aus frühkindlichen Traumata, ging Jeffrey Young davon aus, dass sie besonders in einem Umfeld entstehen, in dem grundlegende kindliche Bedürfnisse nicht erfüllt werden. „Das Zusammenwirken des angeborenen Temperaments und der frühen Umgebung des Kindes führt zur Nichterfüllung statt zur Erfüllung der Grundbedürfnisse“. Diese sind:

  • Das Bedürfnis nach sicherer Bindung zu anderen Menschen (Sicherheit, Stabilität, nährende Zuwendung und akzeptiert werden)
  • Das Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und ein Gefühl der Identität
  • Die Freiheit, berechtigte Bedürfnisse, Wünsche und Emotionen ausdrücken und ausleben zu dürfen
  • Das Bedürfnis nach Spontaneität und Spiel
  • Das Bedürfnis danach, realistische Grenzen zu setzen und gesetzt zu bekommen und selbst Kontrolle ausüben zu können

Im Umgang mit den Lebensfallen gibt es – je nach Temperament – drei Copingstrategien, oder auch Abwehrmechanismen, die als missglückte Lösungsversuche bezeichnet werden können: Erdulden, Vermeiden und Überkompensieren. Sie können zwar einzeln auftreten, aber das ist eher ein Sonderfall. Manchmal verwendet man in einem Lebensumfeld die eine und in einem anderen eine andere Strategie. Um sich aus dem Schema zu befreien, müssen diese Verhaltensweisen erkannt und verändert werden. Ich werde sie jeweils am Schluss meiner Zusammenfassungen beschreiben, wobei mir die detaillierten Übersetzungen von Eckhard Rödinger, Judith Grutschpalk und Christoph Fuhrhans geholfen haben.

Britta Weinbrandt - Raus aus der Lebensfalle - Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

Erdulden
Eher passive Menschen reagieren mit dem Totstellreflex, dem Erstarren, Unterwerfen und Sich-Fügen, was sich ergeben, sich ausliefern oder erdulden bedeutet.

Ergebene Mitmacher sind übermässig angepasst und autoritätsgläubig, konfliktvermeidend, stellen eigene Ansprüche zurück und versichern sich bei anderen. Im Extremfall lassen sie widerspruchslos zu, dass schlecht mit ihnen umgegangen wird. Im Leben wiederholen sie die schmerzhaften Muster der Kindheit mit den gewählten neuen Partnern. Diese Vertrautheit gibt ihnen eine Scheinsicherheit.

Britta Weinbrandt -  Raus aus der Lebensfalle Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

Vermeiden
Eine andere Möglichkeit ist die klassische Flucht, die Distanz. Wenn jemand flieht, vermeidet er es, über seine Probleme nachzudenken. In Verdrängung und Verleugnung werden Gedanken verbannt, Gefühle werden unterdrückt, Beziehungen und Situationen vermieden, abgetrennt. Alles andere wäre zu schmerzhaft. Der Nachteil von Vermeidung ist, dass die betroffene Person nie ihrem Schema entkommt. Da sie nicht mit der Realität konfrontiert wird, findet keine Weiterentwicklung statt. Die Situationen und Auslöser können nicht verändert werden, bevor sie nicht als Problem erkannt wurden. Stattdessen werden die alten und gewohnten selbstzerstörerischen Beziehungen und Verhaltensweisen weitergeführt.

Der distanzierte Beschützer wirkt kontrolliert und fassadenhaft, manchmal kühl. Emotionen sind abgeschaltet und nicht zugänglich. Charakteristisch sind innere Leere, Langeweile und psychosomatische Beschwerden.

Der distanzierende Selbstberuhiger betreibt in dem Drang, sich zu entspannen, oft suchtähnliche Ersatzaktivitäten, um schmerzhafte Emotionen nicht wahrzunehmen: Substanzmissbrauch, Workaholismus, exzessiven Sport, eigentlich jede Art exzessiver Zerstreuung, aber auch Dauerfernsehen, Essanfälle und Selbstverletzungen, wenn sie der Spannungsreduktion dienen.

Der ärgerliche Beschützer reagiert gereizt, ironisch und abweisend, wirkt mürrisch. Fühlt er sich bei Anforderungen durch andere bedroht, reagiert er dann auch aggressiv und entwertend.

Überkompensation
Menschen mit einem stärker aggressiven Temperament entscheiden sich für Kampf oder Gegenangriff, neigen eher zur Kompensation, die in Richtung  Omnipotenz, Übertreibung, Verstellung und Selbsttäuschung gehen kann. Die betroffene Person versucht mit dem Schema zurechtzukommen, indem sie sich so verhält, als träfe das genaue Gegenteil zu. Sie versucht, sich so weit wie möglich von der Kindheit zu entfernen. Wenn die Person damals das Gefühl hatte wertlos zu sein, tut sie heute, als ob sie etwas ganz Besonderes, perfekt oder unfehlbar sei.

Der Angeber tritt egozentrisch und großspurig auf, als habe er besondere Rechte, zeigt dabei wenig Empathie. Er prahlt und sucht Bewunderung, zeigt Überlegenheit, ist übertrieben grandios.

Der Kontrolleur kann als Perfektionist auftreten, um Kritik oder Unglück zu vermeiden, oder als misstrauischer Kontrolleur, der andere und ihr Verhalten dauernd auf Indizien für Böswilligkeit hin überprüft. Er ist dominant, konkurrierend, arrogant, hochmütig, herablassend und  abwertend.

Der Schikanierer und Angreifer ist voll kalter Wut, ist aggressiv, überkontrollierend und schädigt andere absichtlich verbal, emotional, sexuell und physisch. Er ist rebellisch, manipulativ, ausbeutend. Unterordnung und Kontrolle? Niemals!

Der Versuch, niemanden zu brauchen, kann langfristig zur Vereinsamung führen. Außerdem versperrt die Kompensation den Weg zu wirklicher Nähe. Die Fähigkeit zu vertrauen, verletzlich zu sein und sich tiefer einzulassen, wird eingebüßt.

Nun kommt die Beschreibung der verschiedenen Schemata, die sich, ausgehend von den fünf genannten Grundbedürfnissen von Kindern, in fünf verschiedene Domänen zusammenfassen lassen: 

    • Mangelnde Sicherheit und Bindung führt zu Abgetrenntheit und dem Gefühl von Ablehnung und Zurückweisung.
        ◦ Wenn Grundsicherheit beeinträchtigt wurde: Verlassenheit, Misstrauen und Missbrauch
        ◦ Wenn Verbundenheit mit anderen beeinträchtigt wurde: Emotionale Entbehrung und Isolation

    • Eingeschränkte Kontrolle im Außen führt zu Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung
        ◦ Wenn Autonomie beeinträchtigt wurde: Abhängigkeit und Verletzbarkeit

    • Ohne Selbstwert kommt es zu Fremdbezogenheit und eingeschränktem Selbstausdruck
        ◦ Wenn Selbstachtung beeinträchtigt wurde: Unzulänglichkeit und Versagen
        ◦ Wenn Selbstausdruck beeinträchtigt wurde: Unterwerfung und überhöhte Standards

    • Einschränkte Selbstkontrolle führt zu Beeinträchtigungen im Umgang mit Begrenzungen
        ◦  Wenn Realistische Grenzen beeinträchtigt wurden: Anspruchshaltung

    • Lust- und Unlustvermeidung führt zu übertriebener Wachsamkeit und Gehemmtheit

Wenn das Bedürfnis nach Grundsicherheit beeinträchtigt wurde, kommt es zu schädigender Frustration:

I. Abgetrenntheit und Ablehnung, Zurückweisung

In diesem Fall fehlt dem Kind in der Entwicklung häufig Wichtiges. Das Gefühl, abgetrennt zu sein und Zurückweisung zu erfahren, beschreibt die Erwartung, dass die eigenen Bedürfnisse nach Sicherheit, Geborgenheit, Stabilität, Fürsorge, Verständnis oder Zuwendung und Empathie nicht erfüllt werden. Dies gilt sowohl in der Familie, als auch in intimen Beziehungen. Der typische familiäre Ursprung ist in einer explosiven, unberechenbaren oder missbrauchenden Familie zu sehen. Das Kind wird traumatisiert und zum Opfer gemacht. Oder es bekommt Zuviel von etwas Gutem. In diesem Fall ist das Kind zwar nicht schlecht behandelt worden, aber möglicherweise wurde ihm zu viel abgenommen, es wurde verwöhnt und ihm wurden keine Grenzen gesetzt.

Das Kind identifiziert sich mit Gedanken, Gefühlen, Erlebnissen und Verhaltensweisen der Elternteile. Hierbei werden allerdings nicht nur die guten Aspekte übernommen, sondern auch negative. Kinder, die missbraucht wurden, identifizieren sich häufig sowohl mit dem Opfer als auch mit einigen Aspekten des schädigenden Erwachsenen.

Ihr Erleben ist das des verletzbaren oder wütenden Kindes.
Das verletzbare Kind ist ein einsames Kind, das nur dann Aufmerksamkeit bekommt,wenn es seinen Eltern alles recht macht. Es erlebt die schweren emotionalen Schmerzen und Ängste von Verlassenheit oder Missbrauch. Es fühlt sich isoliert, traurig, missverstanden, nicht unterstützt, unvollkommen, emotional vernachlässigt, überwältigt, unfähig, zweifelt an sich selbst, ist bedürftig, hilflos, hoffnungslos, erschreckt, ängstlich, beunruhigt, geopfert, wertlos, ungeliebt, nicht liebenswert, verloren, orientierungslos, zerbrechlich, schwach, abgelehnt, unterdrückt, machtlos, übergangen, ausgeschlossen, pessimistisch. Es fühlt sich extrem verletzlich und allein und sucht nach einer fürsorglichen Elternfigur.

Das wütende Kind fühlt sich stark verärgert, aufgebracht, wütend, zornig, frustriert und ungeduldig, weil seine Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Andere fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Der Ärger wird unangemessen ausgedrückt, es rastet aus und ist blind vor Ärger und Wut, es verletzt andere Menschen oder Dinge.

Es handelt sich um die Lebensfallen Verlassenheit/Instabilität, Emotionale Vernachlässigung,  Misstrauen/Missbrauch, Unzulänglichkeit / Scham.

1. Verlassenheit / Instabilität

Ich fühle mich nie sicher und werde immer wieder verlassen. Die anderen sind nicht zuverlässig.

    • Ich bin im Stich gelassen.

    • Meine Eltern haben mich allein gelassen, waren im Verhalten wechselhaft.

    • Ich habe Angst, dass die Menschen, denen ich mich nahe fühle, mich verlassen werden.

    • Ich klammere mich aus Angst sie zu verlieren an Menschen, die mir nahe sind.

    • Ich klammere mich an die Leute, denen ich nahe bin, weil ich Angst habe, sie zu verlieren.

    • Ich brauche andere Leute so dringend, dass ich ständig Angst habe, sie zu verlieren.

    • Ich habe ständig Angst, dass Leute, denen ich mich nahe fühle, mich verlassen oder sich von mir abwenden könnten.

    • Wenn sich jemand, um den ich mich kümmere, sich von mir zurückzieht, werde ich ganz verzweifelt.

    • Manchmal habe ich so große Angst davor, dass mich Leute verlassen könnten, dass ich sie zurückweise.

Wichtige Bezugspersonen waren nicht fähig, eine kontinuierliche emotionale Unterstützung, Verbindung oder Schutz zu bieten. Sie waren emotional instabil, unvorhersehbar, unzuverlässig oder nur zeitweise präsent. Wer im Stich gelassen wurde, hat aus der erfahrenen Unzuverlässigkeit derer, die für Unterstützung und Verbindung zuständig waren, keine eigene Verbindung zu sich und anderen entwickelt.

Britta Weinbrandt -  Raus aus der Lebensfalle Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

Menschen, die sich in dieser Lebensfalle befinden, haben ständig Angst, allein gelassen zu werden. „Meine engen Beziehungen werden in die Brüche gehen, weil Menschen unzuverlässig und unberechenbar sind.“ Überzeugt, dass wichtige Beziehungen nicht halten werden, bleiben sie entweder isoliert oder klammern.

  • Erdulden: Ich bin eifersüchtig und ängstlich in Beziehungen oder suche nicht erreichbare Beziehungen. Ich wähle Partner oder Bezugspersonen, die emotional nicht verfügbar oder unvor-hersagbar unzuverlässig sind. Das Schema Verlassenwerden zu triggern, bedeutet auch, dass diese Partner weit entfernt wohnen, häufig auf Reisen sind, bis in die Abendstunden arbeiten oder sogar eine andere Beziehung haben können.
  • Vermeiden: Ich entziehe und isoliere mich, vermeide enge Beziehungen, habe Hobbies für mich alleine oder oberflächliche Freundschaften. Ich trinke viel, wenn ich allein bin.
  • Kompensieren: Ich stoße Partner oder wichtige Bezugspersonen mit anklammernden, besitzergreifenden oder kontrollierenden Verhaltensweisen von mir. Ich stelle hohe Forderungen an andere, übe vermehrt Kontrolle aus oder mache andere von mir abhängig, breche Beziehungen ab, bevor der andere geht; ich will besonders sein.

Tara Bennett-Goleman empfiehlt Menschen mit diesen Ängsten, zu lernen, dass es ihnen auch alleine gut gehen kann, dass sie die innere Stärke haben ihre Bedürfnisse selbst zu befriedigen, und daher nicht zerbrechen werden, wenn sie jemand verlässt. Wenn wir in diesem Heilungsprozess besonders achtsam für Gefühle bleiben, die schon ein symbolisches Verlassenwerden weckt – Überempfindlichkeit für Trennungserlebnisse, verzweifeltes Festklammern, Grauen vor dem Alleinsein – können wir diesem Schema zu Leibe rücken, sobald es uns zu überwältigen droht. Young schlägt daher vor, dass wir uns die Historie unserer vergangenen Beziehungsmuster einmal vornehmen und uns anschauen, welche Muster es genau sind, die uns triggern. Auf Beziehungen vertrauen zu lernen ist ein Meilenstein auf diesem Weg.

2. Emotionale Vernachlässigung und Deprivation / Entbehrung

Ich bin wertlos und überflüssig. Ich muss alles selbst tun, weil mir niemand hilft. Wenn ich jemanden brauche ist keiner da.

    • Ich bin emotional vernachlässigt.

    • Ich habe zu wenig Liebe und Aufmerksamkeit bekommen.

    • Meine Eltern waren kalt vernachlässigend und ablehnend.

    • Die meiste Zeit hatte ich niemanden, auf dessen Rat oder Unterstützung ich mich verlassen konnte.

    • Größtenteils hatte ich niemanden, der mir wirklich zuhörte, mich verstand oder auf meine eigenen Gefühle und Bedürfnisse eingegangen ist.

    • Die meiste Zeit hatte ich niemanden, der sich um mich kümmerte, sich mir mitteilte oder sich wirklich für alles interessierte, was mir widerfuhr.

    • Im Allgemeinen gab es in meinem Leben niemanden, der mir Wärme oder Halt gab oder mir seine Zuneigung gezeigt hat.

    • Für die meiste Zeit meines Lebens hatte ich nicht das Gefühl, für jemanden etwas Besonderes zu sein.

    • Ich hatte kaum eine starke Person die mir einen guten Rat gegeben oder mir den richtigen Weg gezeigt hat, wenn ich mal nicht wusste, was ich tun sollte.

Emotionale Vernachlässigung beschreibt die Erwartung, dass das eigene Verlangen nach emotionaler Zuwendung nicht ausreichend erfüllt wird. Wer darunter leidet, hat das Gefühl, minderwertig und unerwünscht zu sein, nichts wert zu sein, nicht geliebt zu werden. Diese Lebensfalle entsteht durch ein Elternhaus, in dem man sich nicht geliebt oder geachtet fühlte und ständig kritisiert wurde. Die Bezugsperson war zwar anwesend, hat sich aber nicht angemessen in die wahren Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse eingefühlt und sich mit echtem Interesse um das Kind gekümmert.

Die drei wichtigsten Formen Emotionaler Vernachlässigung sind:

    • Mangelnde Fürsorge: Fehlen von Aufmerksamkeit, Zuwendung, Wärme oder Gesellschaft.

    • Fehlende Empathie: Abwesenheit von Verständnis, Zuhören, Selbstoffenbarung oder dem Teilen von Gefühlen mit anderen.

    • Mangelnder Schutz: Abwesenheit von Stärke, Richtung und Führung oder fehlende Anleitung durch andere.

„Es ist nie genug“, „Ich kann von anderen anscheinend nicht bekommen, was ich brauche – Verständnis, Unterstützung und Aufmerksamkeit“ – dieses Gefühl haben Menschen, die dieses Schema entwickelt haben. Sie glauben, für niemanden auf der Welt wirklich wichtig zu sein. Ein tiefes Gefühl der Leere führt zu hohen Ansprüchen an andere. Was immer diese anbieten, es reicht nicht.

  • Aushalten: Ich wähle ichbezogene, nur an sich selbst interessierte, gefühlskalte, abgetrennte Partner und Freunde und halte andere davon ab, emotional gebend zu sein. Ich sorge nicht gut für mich bzw. lasse mich schlecht behandeln.
  • Vermeiden: Ich vermeide intime Beziehungen vollständig, aus Angst vorm Verlassenwerden. Ich ziehe mich zurück, bin ein einsamer Wolf, führe Tagträume.
  • Flucht nach vorn: Ich stelle unrealistische Forderungen an andere zur eigenen Bedürfniserfüllung. Ich beute selbst andere aus, zeige Promiskuität oder bin Helfer (Helfersyndrom), ich opfere mich auf, klammere mich stark an andere.

Tara Bennett-Goleman empfiehlt Menschen, die sich in diesem Schema wiedererkennen, sich mehr Klarheit darüber zu verschaffen, wie unser Bedürfnis nach Fürsorge unsere Beziehungen formt. Achtsamkeit hilft gegen die Neigung, das Verhalten anderer verzerrt zu interpretieren. Wer glaubt, dass andere nur etwas von einem wollen, lernt so, diesen Gedanken in Frage zu stellen – um vielleicht zu merken, dass die anderen unsere Gesellschaft genießen, ohne noch mehr von uns zu erwarten. Mit Achtsamkeit können auch Verhaltensänderungen gelingen, indem wir anfangen, unsere Bedürfnisse anderen klar und angemessen mitzuteilen und uns emotional präsente Partner zu suchen.

3. Misstrauen / Missbrauch

Nähe tut weh. Andere sind böse zu mir. Ich habe es nicht besser verdient, mit mir kann man es machen.

    • Ich bin missbraucht.

    • Meine Eltern missbrauchten mich emotional und/oder körperlich bzw. sexuell.

    • Ich bin gewöhnlich auf der Hut, da ich immer Hintergedanken bei anderen vermute. 

    • Ich bin den Absichten anderer gegenüber misstrauisch.

    • Ich habe das Gefühl, dass ich ausgenutzt werde.

    • Wenn ich nicht vorsichtig bin, werden mir andere weh tun.

    • Es ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand mein Vertrauen missbraucht.

    • Hinsichtlich der Motive anderer bin ich sehr misstrauisch.

Dieses Schema entwickelt sich, wenn frühere Beziehungen als unzuverlässig oder sogar als missbrauchend erlebt wurden. Es äußert sich in der Erwartung, dass andere einen verletzen oder missbrauchen, bloßstellen, betrügen, belügen, manipulieren und ausnutzen werden.

Das Schema beinhaltet die Annahme, dass die Verletzung absichtlich erfolgt. Das Schema kann das Gefühl einschließen, letztendlich immer betrogen zu werden oder „den Kürzeren zu ziehen“. Es führt zu ständigem Auf-der-Hut-sein. Diese Menschen gehen oft schädigende Beziehungen ein, in der Überzeugung, nichts Besseres verdient zu haben.

  • Erstarren: Ich wähle zu Missbrauch neigende Partner und Freunde, die nicht vertrauenswürdig sind, mich manipulieren und seelisch, körperlich oder sexuell misshandeln. Ich bleibe in missbrauchenden Beziehungen; bin übervorsichtig und beobachte andere misstrauisch oder bin übermäßig vertrauensselig.
  • Flucht: Ich vermeide enge Verbindungen mit anderen im Privat- und Berufsleben, vertraue mich niemandem an und vermeide Selbstoffenbarungen. Ich vermeide enge Beziehungen bzw. gehe keine sexuellen Kontakte mehr ein.
  • Kampf: Ich behandele andere schlecht bis ausbeuterisch oder verhalte mich im Gegensatz dazu zu vertrauensvoll. Ich zeige politisch-offensives Engagement gegen Missbrauch, übe Kampfsport aus. Oder ich missbrauche andere bzw. greife sie an (Opfer-Täter-Umkehr), übe eine Bestrafungsneigung.

Bennett-Goleman: Wer glaubt, dass das Misstrauensschema auf sie zutrifft, braucht Beziehungen, in denen sie echtes Vertrauen schenken kann. Ein Therapeut, der sich auf Opfer von Missbrauch spezialisiert hat, kann eine solche Person darstellen.

Achtsamkeit kann helfen, der Neigung, misstrauisch zu sein oder Gefahr zu wittern, gewahr zu werden. Dann kann dieser Gedanke in Frage gestellt werden, um in engen Beziehungen mehr vertrauen zu lernen. Ein Zeichen von Fortschritt ist, wenn wir uns nicht mehr mit Missbrauch und Misshandlung in Beziehungen abfinden oder der Anziehungskraft eines misshandelnden Partners widerstehen.

4. Soziale Isolation / Entfremdung

Ich bin anders als die anderen. Ich werde nicht verstanden, gehöre nicht dazu.

    • Ich bin sozial isoliert / entfremdet.

    • Meine Eltern schotteten sich ab (wie eine Wagenburg), ich wurde in meiner Schulklasse ausgegrenzt oder komme aus einer Minderheit.

    • Ich fühle mich anderen gegenüber fremd.

    • Ich gehöre nicht dazu, ich bin ein Einzelgänger / eine Einzelgängerin.

    • Ich passe zu niemanden.

    • Ich bin von anderen Menschen grundsätzlich verschieden.

    • Ich gehöre zu niemanden; ich bin ein Einzelgänger.

    • Ich fühle mich von anderen Menschen entfremdet.

    • In Gruppen fühle ich mich immer als Außenseiter.

Isolation meint das Gefühl, vom Rest der Welt isoliert zu sein, anders als die anderen zu sein und keiner Gruppe oder Gemeinschaft anzugehören. „Ich bin grundsätzlich allein auf dieser Welt.“ Vorherrschend ist das Gefühl, in keine Gruppe hineinzupassen und keine Verbindung zu anderen Menschen herstellen zu können.

  • Erdulden: Ich werde zwar Mitglied einer Gruppe, aber bleibe an der Peripherie; integriere mich nicht voll. Ich ordne mich übermäßig unter, um nicht aufzufallen.
  • Vermeiden: Ich will nur enge Verbindung zur Familie oder Gleichgesinnten und bemühe mich nicht um Integration. Ich vermeide Sozialisation und verbringe die meiste Zeit allein.
  • Kompensieren: Ich stülpe mir eine falsche Identität über, um mich in Gruppen zu integrieren, fühle mich selbst dann immer noch anders und ausgeschlossen. Ich zeige ein starkes Leistungsverhalten um unersetzlich zu sein; oder Bandenbildung, Delinquenz, Sabotage.

Tara Bennett-Goleman empfiehlt jedem, der sich schon als Teen in der Rolle des Ausgestoßenen sonnte, sich mit Piercings, Iro, Gothic-Kluft oder Lederklamotten abhob im Sinne von „Ich gehöre nicht dazu – und es ist mir egal!“, sich achtsam diesen schmerzhaften darunterliegenden Gedanken und Gefühlen zuzuwenden.

Wer auf Partys Ängste verspürt und verkrampft, wenn er neue Leute kennenlernen soll, kann sorgsam üben, gegen seine üblichen Gewohnheiten zu handeln: Die Ängste spüren und sich dann über sie hinwegzusetzen, indem man ein Gespräch beginnt, statt davor zurückzuschrecken. Wer lernt, seine Angst zu meistern, kann in Gruppen entspannter sein.

5. Unzulänglichkeit / Scham

Ich bin nicht o.k., das werden die anderen bald merken. Ich bin an allem Schuld.

    • Ich bin unzulänglich und beschämt.

    • Ich fühle mich nicht liebenswert.

    • Meine Eltern demütigten und / oder benachteiligen mich aktiv.

    • Kein Mann, den ich begehre, könnte mich lieben, wenn er meine Fehler sehen würde, bzw. keine Frau, die ich begehre, könnte mich lieben, wenn sie meine Fehler sehen würde.

    • Kein Mensch, den ich begehre, würde in meiner Nähe sein wollen, wenn er/sie mein wahres Ich kennen würde.

    • Ich bin der Liebe, der Aufmerksamkeit und der Anerkennung anderer nicht würdig.

    • Im Grunde bin ich anderen Menschen nicht zumutbar, um mich ihnen zu öffnen.

    • Ich fühle mich unattraktiv

    • Ich bin zu dick/zu dünn.

    • Ich finde mich nicht schön.

    • In Gesellschaft fällt mir wenig ein, was ich sagen könnte.

Dieses Schema ist gekennzeichnet durch das Gefühl, man sei unzulänglich, schlecht, unerwünscht, minderwertig oder unfähig und werde es niemals wert sein, von anderen Liebe, Aufmerksamkeit oder Respekt entgegengebracht zu bekommen, egal wie sehr man sich bemüht. Damit verbunden ist häufig eine Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, Ablehnung oder Beschuldigungen. Zusätzlich kann ein Gefühl der Befangenheit oder ein Gefühl von Scham über die eigenen Unzulänglichkeiten vorkommen. Die wahrgenommenen Mängel können privater Art (z. B. Egoismus, wütende Impulse oder unakzeptable sexuelle Neigungen) oder öffentlich sichtbar sein (z. B. ein unansehnliches, hässliches, sexuell abstoßendes Äußeres oder soziale Ungeschicklichkeit, sich nicht zu unterhalten wissend oder einer Unterschicht anzugehören).

  • Erstarren: Ich mache auch beschämende Arbeiten oder bleibe in beschämenden Beziehungen, bin oft in der Sündenbockrolle. Ich verhindere Intimität, in der meine vermeintlichen Schwächen an den Tag treten könnten und wähle distanzierte und nicht verfügbare, kritische Partner und Freunde. Ich werte mich selbst ab. Ich vergleiche mich mit Leuten, die sich in den Vordergrund stellen.
  • Flucht: Ich bin kontaktscheu, „stilles Wasser“, will nicht im Mittelpunkt stehen. Ich halte mich im Hintergrund und verzichte auf Beteiligung. Aus Angst vor Ablehnung will ich nichts von mir erzählen, teile beschämende Gedanken und Gefühle nicht mit Freunden und Partnern.
  • Kampf: Ich habe unerbittliche Ansprüche, entwickle einseitige Fähigkeiten, bin überkorrekt oder selbstüberschätzend. Ich verhalte mich anderen gegenüber oberkritisch oder von oben herab und setze andere herab. Ich versuche perfekt zu erscheinen, stelle mich als interessant dar und  verdränge andere in Gesellschaft aus dem Mittelpunkt.

Tara Bennett-Goleman beschreibt, dass die Anzeichen dieses Schemas subtil sind und weniger leicht aufzuspüren als andere. Zu den typischen Anzeichen gehören eine tiefe Traurigkeit, wenn wir allein sind, Grübeleien und die Tatsache, dass wir uns gegenüber anderen schlecht machen. Sie empfiehlt auch hier wieder, besonders achtsam mit seinen Gefühlen umzugehen und die Gedanken in Frage zu stellen, die unsere vermeintlichen Fehler größer erscheinen lassen und unsere Selbstzweifel verstärken – um ein realistisches Bild von uns zu bekommen. Ein Meilenstein ist erreicht, wenn wir darauf vertrauen lernen, dass unsere Mitmenschen uns so kennen und lieben, wie wir sind.

Selbstzertifizierung Britta Weinbrandt - Zeugnis

Das zweite Grundbedürfnis war das nach Autonomie, Kompetenz und Identitätsgefühl. Auch dies kann beeinträchtigt werden.

II. Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung

Eingeschränkte Autonomie beinhaltet Erwartungen über die eigene Person und die Umgebung und die Fähigkeit sich loszulösen, zu überleben, eigenständig zu funktionieren oder Erfolg zu haben. Typische familiäre Ursprünge sind in einer starken familiären Verstrickung und einer Unterminierung des kindlichen Urteilsvermögens zu finden. Auch eine zu starke Bemutterung kann zu eingeschränkter Autonomie führen. Das Kind erhält keine Bestätigung für seine Erfolge und entwickelt keine Selbstwirksamkeit. Es resultiert das Gefühl, abhängig und unselbstständig zu sein. Ein eigenes Selbst und die Grenzen zu anderen sind nicht klar definiert.

Das Erleben weckt die Reaktionen eines ängstlichen oder wütenden Kindes (siehe oben).

Die in diesen Bereich auftretenden Lebensfallen sind Erfolglosigkeit / Versagen, Abhängigkeit / Inkompetenz, Verletzbarkeit und Verstrickung / unentwickeltes Selbst.

6. Erfolglosigkeit / Versagen

Alle anderen können das besser. Ich werde das nie schaffen.

    • Ich fürchte Versagen und Erfolglosigkeit.

    • Meine Eltern ermutigten oder unterstützten mich nicht.

    • Ich bin für meine Arbeit nicht so begabt wie die meisten anderen.

    • Ich bin nicht so intelligent wie die anderen.

    • Fast nichts was ich auf der Arbeit (in der Schule/ Universität) mache, ist so gut, wie das andere Menschen tun könnten.

    • Ich bin unfähig, wenn es um Leistung geht.

    • Die meisten Leute sind fähiger als ich wenn es um Arbeit und Leistung geht.

Hier geht es um die Überzeugung, dass man weniger begabt, talentiert, klug als nahezu alle anderen Menschen wäre, dass man versagt hat, zwangsläufig versagen wird oder im Vergleich zur eigenen Bezugsgruppe grundsätzlich unzureichend ist (z. B. im Sport, Schule oder Karriere). Oft gehört dazu der Glaube an die eigene Dummheit, Unfähigkeit und Ignoranz. „Ich bin meinen Altersgenossen grundsätzlich unterlegen und werde unweigerlich versagen, niemals Erfolg haben“.

  • Erdulden: Ich bin schicksalsergeben. Ich sabotiere Arbeitsanstrengungen, indem ich eine Arbeit unter meinen eigenen Fähigkeiten annehme, ich vergleiche die eigene Arbeit in ungünstigem Licht mit der von Kollegen.
  • Vermeiden: Ich bin verbittert, resigniert und zögere bei Arbeitsaussagen. Ich vermeide neue oder schwierige Aufgaben völlig und lerne nichts Neues. Ich gehe kein Risiko ein, vermeide es, mir Karriereziele zu setzen, die meinen eigenen Fähigkeiten angemessen wären.
  • Kompensieren: Ich habe unerbittliche Ansprüche, versuche alles perfekt zu machen aus Angst vorm Versagen – oder mache die Leistungen anderer klein.

Tara Bennett-Goleman sagt, wem das Schema vertraut vorkommt, kann den Schauplatz der Veränderung auf dem Gebiet der Selbsteinschätzung seiner Leistungen und Leistungsfähigkeit  sehen. Achtsamkeit kann helfen, die inneren Dämpfer zu erkennen, die uns einflüstern, wir würden niemals erfolgreich sein. Dann können wir unsere wirklichen Talente und Fähigkeiten zutreffender einschätzen und akzeptieren, dass wir unsere Erfolge voll und ganz verdient haben.

7. Abhängigkeit / Inkompetenz

Die Welt ist gefährlich, unberechenbar und feindlich. Ich kann das nicht allein.

    • Ich bin abhängig / inkompetent

    • Meine Eltern nahmen mir alles ab, ließen mich nichts ausprobieren.

    • Ich habe kein Vertrauen in meine Fähigkeiten, alltägliche Probleme zu lösen.

    • Mir fehlt der gesunde Menschenverstand.

    • Generell fühle ich mich unfähig, alleine durch den Alltag zu kommen.

    • Ich halte mich für eine abhängige Person, wenn es um die Erfüllung alltäglicher Aufgaben geht.

    • Mir mangelt es an gesundem Menschenverstand.

    • Auf mein Urteil ist in Alltagssituationen kein Verlass.

Die übertriebene Fürsorge der Eltern ließ dem Kind keine Chance, ein Gefühl für seine eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und sich als selbstbestimmt und unabhängig zu erleben. Wer in dieser Lebensfalle gefangen ist, hat das Gefühl, unfähig und hilflos zu sein und sieht sich nicht imstande, ohne Hilfe anderer Entscheidungen zu treffen, ein gutes Urteil abzugeben oder neue Aufgaben anzugehen. Ein Alltagsleben wird nicht ohne die Unterstützung und Hilfe von anderen bewältigt. Abhängigkeit zeigt sich oft in Passivität.

  • Erdulden: Ich wähle überbeschützende Partner, die alles für mich tun und mache mich in Beziehungen vom Partner abhängig, frage sehr viel und oft um Hilfe, kann nichts allein entscheiden.
  • Vermeiden: Ich vermeide es, zu unabhängig zu handeln oder die normalen Verpflichtungen des Erwachsenseins zu übernehmen, trage keine Verantwortung und zögere bei Entscheidungen. Ich stelle mich nie gegen starke Andere.
  • Kompensieren: Ich demonstriere übertriebene Selbstständigkeit, selbst dann, wenn es normal und gesund wäre, sich an jemand anderen zu wenden und Hilfe anzunehmen. Ich ergreife „sichere“ Berufe (Verbeamtung, Bank), suche mächtige Vereine oder Pseudoautonomie (Heinrich Manns Untertan: „Das Aufgehen im Großen und Ganzen“).

8. Anfälligkeit für Schädigungen oder Krankheiten / Verletzbarkeit

Neues und Fremdes ist gefährlich. Wenn es mir jetzt gut geht wird sich das bald ändern, man ist nie sicher.

    • Ich fühle mich verletzbar.

    • Meine Eltern kontrollierten mich ängstlich-überbeschützend.

    • Ich kann das Gefühl nicht loswerden, dass etwas Schlimmes passieren wird.

    • Ich habe das Gefühl, jeden Moment könnte eine Katastrophe (Natur, Verbrechen, Geld, Krankheit) eintreten.

    • Ich befürchte, dass ich angegriffen werde.

    • Ich befürchte, dass ich mein ganzes Geld verliere und hilflos werde.

    • Ich befürchte, dass sich bei mir eine ernsthafte Krankheit entwickelt, obwohl nichts ernsthaftes von einem Arzt bei mir diagnostiziert wurde.

Menschen mit diesem Schema haben die übersteigerte Angst, dass eine Katastrophe bevorsteht der sie schutzlos ausgeliefert sind. „Überall lauern Gefahren und ich kann mich nicht davor schützen.“ Die Angst kann sich auf einen oder mehrere der folgenden Bereiche konzentrieren:

  • gesundheitliche Katastrophen, Krankheiten wie ein Herzinfarkt, bestimmte Keime wie AIDS – ich schreibe absichtlich nicht Corona…
  • emotionale Katastrophen, wie verrückt zu werden
  • äußerliche Katastrophen wie abstürzende Fahrstühle, Unfälle, Raubüberfälle, Flugzeugabstürze, Erdbeben oder ähnliches
  • Aushalten: Ich suche ständig nach gefährlichen Informationen und Hinweise auf drohende Gefahren, sorge mich ständig, dass mir Katastrophen passieren können; frage andere wiederholt um mich rückzuversichern.
  • Vermeiden: Ich begebe mich allein nicht in neue oder unübersichtliche Situationen, vermeide „gefährliche“ Situationen phobisch.
  • Flucht nach vorn: Ich zeige starkes Absicherungsverhalten (schließe viele Versicherungen ab), hebe Negatives hervor oder gehe bewusst hohe Risiken ein, begebe mich in Gefahr, handele leichtsinnig.

9. Verstrickung / Unentwickeltes Selbst

Wir können ohne einander nicht sein. Ich darf nicht Ich Selbst sein. Ich bin verantwortlich für die Anderen.

    • Ich bin verstrickt, schuldig gebunden.

    • Meine Eltern machten mich systematisch von sich abhängig und mir Schuldgefühle.

    • Meine Eltern und ich tendieren dazu, uns gegenseitig zu stark in unsere Leben und unsere Probleme zu verstricken.

    • Es ist sehr schwierig für mich und meine Eltern, ganz persönliche intime Dinge voreinander zu verbergen, ohne uns betrogen oder schuldig zu fühlen.

    • Ich war nicht in der Lage mich von meinen Eltern zu trennen, so wie das anderen in meinem Alter gelungen ist.

    • Ich fühle mich oft als würden meine Eltern durch mich leben – ich habe kein eigenes Leben.

    • Ich habe oft das Gefühl, dass ich keine eigene Identität unabhängig von meinen Eltern oder von meinem Partner habe.

Es fehlt das Gefühl einer ausgebildeten Identität. Gefühle von Leere und Richtungslosigkeit werden kompensiert, indem die Betroffenen sich exzessiv emotional an eine oder mehrere andere Personen, oft die Eltern, anhängen, um sich vollständig zu fühlen. Oft herrscht der Glaube vor, keine der verstrickten Personen könne ohne die andere überleben oder glücklich sein. „Ohne Führung von anderen fühle ich mich leer und verloren“.

Mark Wolynn ergänzt in „Dieser Schmerz ist nicht meiner“, dass es hier generell zu vier verschiedenen Mustern kommen kann, die uns unbewusst beeinflussen:

1 . Wir sind mit einem Elternteil verschmolzen.

2. Wir lehnen einen Elternteil ab.

3. Wir haben eine Bruch in der frühen Bindung mit unserer Mutter erlebt

4. Wir haben uns mit einem anderen Mitglied unseres Familiensystems statt mit unseren Eltern identifiziert.

  • Erstarren: Ich entwickele keine eigene Identität mit eigenen Präferenzen, imitiere das Verhalten wichtiger Bezugspersonen, gebe meine Bindung an die Eltern nicht auf, bleibe in engem Kontakt zu verstrickten Personen, suche sie oft auf, rufe mehrmals in der Woche an.
  • Flucht: Ich gehe keine anderen Beziehungen ein und bleibe unabhängig.
  • Kampf: Ich vertrete aggressiv den Wert der Familie als solches oder grenze mich rigide ab, versuche, in jeder Hinsicht das Gegenteil von wichtigen Bezugspersonen zu werden. Ich suche z.B. alternative Lebensformen.

Wird die Freiheit eingeschränkt, Bedürfnisse, Wünsche und Emotionen ausdrücken und ausleben zu dürfen, kommt es zu Schwierigkeiten mit Grenzsetzungen:

III. Beeinträchtigungen im Umgang mit Begrenzungen

Die Rechte anderer werden wenig respektiert oder die eigenen Ziele nicht erreicht. Ein typischer familiärer Ursprung liegt in Grenzenlosigkeit und Verwöhntheit.

Hier reagiert das undisziplinierte, kränkbare Kind, das impulsiv, gierig und unkontrolliert alle nach seiner Nase tanzen lässt und kurzfristige Belohnungen nicht aufschieben kann. Es kann sich nicht dazu bringen, Routinearbeiten zu erledigen und gibt schnell auf. Es fühlt oft intensiven Ärger, ist wütend und frustriert, wenn seine Sehnsüchte und Impulse nicht befriedigt werden können. Es tut alles, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, ohne Rücksicht auf negative Konsequenzen. Daher wirkt es verwöhnt oder verzogen.

Es zeigt die Lebenswunden Anspruchshaltung / Grandiosität und unzureichende Selbstkontrolle / Selbstdisziplin.

10. Anspruchshaltung / Grandiosität.

Das steht mir zu. Ich bin etwas Besonderes – für mich gelten andere Regeln!

    • Ich bin grandios, ich bin besonders. Ich kann alles.

    • Meine Eltern setzten zu wenig Grenzen oder verwöhnten mich zu sehr.

    • Ich finde, ich sollte nicht den normalen Regeln, Richtlinien und Konventionen folgen müssen, wie es andere Menschen tun.

    • Ich bin etwas Besonderes und sollte nicht die gleichen Einschränkungen wie alle anderen respektieren müssen.

    • Ich habe große Schwierigkeiten ein “Nein” als Antwort zu akzeptieren, wenn ich etwas von anderen möchte.

    • Ich hasse es eingeschränkt zu werden oder davon zurückgehalten zu werden, was ich gerne tun möchte.

    • Ich bin der Meinung, dass ich mehr zu bieten habe als andere Menschen. Was ich anbiete, ist von höherem Wert.

Diese Menschen haben das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Regeln und Konventionen gelten nur für andere. Es fällt ihnen schwer, sich zu disziplinieren. Sie bestehen darauf, ihre eigenen Wünsche erfüllt zu bekommen, auch auf Kosten der anderen. „Ich verdiene alles, was ich bekommen kann, selbst wenn andere dadurch eingeschränkt werden.“ Es gibt starke Konkurrenzgefühle, andere werden kontrolliert. Die gefühlte Überlegenheit führt zum Wunsch, zu den Erfolgreichsten, Berühmtesten oder Reichsten zu zählen. Wer in seiner Kindheit keinerlei Grenzen respektieren musste, wer im Übermaß verwöhnt wurde, der hat später als Erwachsener möglicherweise Schwierigkeiten, die Interessen anderer ausreichend zu respektieren.

  • Erdulden: Ich  habe ungleiche oder gefühllose Beziehungen zu Partnern und Freunden, verhalte mich selbstsüchtig, nehme die Bedürfnisse anderer nicht wahr, habe wenig Selbstreflexion. Ich  beanspruche für mich Ausnahmen von allgemeinen Regeln.
  • Vermeiden: Ich zeige keine Schwäche, will unabhängig bleiben, meide Mittelmaß und Unwichtigkeit. Ich vermeide Situationen, in denen ich nicht herausragen oder übertreffen kann.
  • Kompensieren: Ich fördere großzügig “Vasallen“, lasse als Gönner andere am eigenen Wohlstand teilhaben (um mich dafür feiern zu lassen). Ich mache extravagante Geschenke oder wohltätige Spenden um das selbstsüchtige Verhalten auszugleichen oder stelle mein Licht unter den Scheffel und hoffe heimlich, dass die anderen doch merken, wie toll ich bin.
Britta Weinbrandt -  Raus aus der Lebensfalle Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

11. Mangelnde Selbstkontrolle / Selbstdisziplin

Ich bin bequem, brauche keine Disziplin und Verantwortung. Ich bin verführbar und willensschwach.

    • Ich bin maßlos, schrankenlos, unbeherrscht, ohne Grenzen oder Disziplin.

    • Meine Eltern vermittelten mir zu wenig Disziplin.

    • Ich kann mich nicht dazu zwingen, Dinge zu tun, die mir keinen Spaß machen, auch wenn es zu meinem Besten ist.

    • Ich kann mich nicht dazu bringen, Routine- oder langweilige Aufgaben zu erledigen.

    • Wenn ich ein Ziel nicht erreichen kann, werde ich schnell frustriert und gebe auf.

    • Mir fällt es sehr schwer, eine sofortige Belohnung aufzuschieben, nur um langfristige Ziele zu erreichen.

    • Ich war selten in der Lage, bei meinen Entscheidungen zu bleiben.

Dieses Schema betrifft Menschen, die wenig Selbstdisziplin und Frustrationstoleranz haben, begonnene Aufgaben nicht fertig stellen können und rasch aufgeben. Unbehagen, Schmerzen, Konflikte, Konfrontationen, Verantwortung – alles wird vermieden. „Es fällt mir schwer, selbst kleine Frustrationen zu tolerieren, deswegen mache ich eine Szene oder verschließe mich.“

Dies geschieht jedoch auf Kosten von Erfüllung, Engagement oder Integrität.

  • Aushalten: Ich habe wenig Frustrationstoleranz; lasse Verstöße gegen Regeln oder Ordnung immer wieder durchgehen, führe langweilige oder unangenehme Aufgaben achtlos aus.
  • Fliehen: Ich arbeite nicht oder verlasse die Schule vorzeitig, setze mir keine langfristigen Karriereziele, mache kurzlebige, intensive Versuche, um Projekte zu beenden oder Selbstkontrolle zu installieren. Ich vermeide Konflikte, Schmerzen, Verletzbarkeit bzw. Verantwortung zu
    übernehmen.
  • Aufbegehren: Ich verliere emotional die Kontrolle, esse zu viel, trinke, spiele oder benutze Drogen, zeige süchtiges oder kriminelles Verhalten, strebe kurzfristige Befriedigungen und schnelle Gewinne an – oder ich entwickele eine übertriebene Selbstkontrolle und ziehe unangenehme Dinge mit kurzfristiger Selbstkasteiung durch.

Wenn das Bedürfnis nach Spontaneität und Spiel eingeschränkt wird, kommt es zur Unterdrückung von spontanen Gefühlen, Impulsen und Entscheidungen. Selbstauferlegte Regeln und Erwartungen hinsichtlich der eigenen Leistung und Verhalten werden dagegen rigide eingehalten.

IV. Fremdbezogenheit und eingeschränkter Selbstausdruck

In den Ursprungsfamilien wurden Liebe und Zuwendung meist nur unter bestimmten Bedingungen gegeben. Die Kinder mussten wichtige Aspekte ihres Selbst verstecken, um überhaupt Liebe und Anerkennung zu erlangen. Die Wünsche und Bedürfnisse der Erwachsenen wurden über die individuellen Bedürfnisse und Gefühle der Kinder gestellt.

Der Blick ist auf die Bedürfnisse, Gefühle oder Antworten der anderen gerichtet, auf Kosten der eigenen. Mein Gefühl für den eigenen Ärger oder die eigenen Neigungen wird unterdrückt. Liebe und Anerkennung zu erhalten oder das Gefühl der Zugehörigkeit zu erleben und Sanktionen zu entgehen, ist das Ausschlaggebende.

Hier wird sich einem fordernden, kritisierenden Inneren Elternteil untergeordnet, der sich nur durch Leistung, Disziplin und Perfektionismus akzeptiert fühlt und hohe Standards und strikte Regeln und Ordnung an sich verlangt. Sei effizient! Vergeude keine Zeit! Sei bescheiden, wie das Veilchen im Moose! Sei nicht überheblich! Spontaneität und die Äußerung eigener Wünsche und Gefühle sind unzulässig und falsch. Das Erleben ist geprägt von Schuld.

Die Schemata heißen Unterwerfung / Unterordung, Aufopferung, Streben nach Zustimmung und Anerkennung (Beachtung suchen).

12. Unterwerfung / Unterordnung

Die anderen wissen es besser und haben immer recht.

    • Ich unterwerfe mich.

    • Meine Eltern kontrollierten mich streng, duldeten keinen Widerspruch.

    • In Beziehungen lasse ich die anderen bestimmen.

    • Ich habe so oft andere für mich die Entscheidungen treffen lassen, sodass ich manchmal gar nicht weiß, was ich selber will.

    • Ich habe ziemliche Schwierigkeiten einzufordern, dass meine Rechte und Gefühle respektiert werden.

    • Ich habe das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als den Wünschen anderer nachzugeben, sonst würden sie sich rächen oder mich zurückweisen.

    • Wenn ich das tue was ich möchte, dann bringt das nur Ärger.

Personen, die in frühester Kindheit dieses Schema entwickelt haben, haben gelernt, dass ihre eigenen Wünsche und Ideen nicht gefragt, nichts wert und für andere unwichtig sind. Sie opfern ihre Sehnsüchte, um anderen zu gefallen. „Ich unterdrücke meine Gefühle und Bedürfnisse aus Angst vor den Gefühlen anderer.“

Die Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Vorlieben wird abgegeben, um Ärger, Ablehnung oder das Verlassenwerden durch andere zu vermeiden. Es gibt zwei Hauptformen der Unterordnung:

  • Die Unterordnung der eigenen Bedürfnisse, Vorlieben, Entscheidungen und Wünsche. 
  • Die Unterordnung der eigenen Gefühle, insbesondere von Ärger, was sich in psychosomatischen Symptomen manifestiert.
  • Erdulden: Ich wähle dominante, kontrollierende Partner und Freunde, die stets ihre Meinung und ihren Kopf durchsetzen, und erfülle deren Wünsche. Ich nehme eine passive Rolle ein und ordne mich unter die Bedürfnisse und Befehle anderer.
  • Vermeiden: Ich befolge übermäßig genau Regeln im vorauseilenden Gehorsam; vermeide zu streiten. Ich vermeide Situationen, in denen es zu Konflikten mit anderen Personen kommen könnte.
  • Kompensieren: Ich identifiziere mich mit dem Aggressor, bin autoritätsgläubig oder rebelliere passiv-aggressiv oder provozierend in unkontrollierten Wutausbrüchen gegen Autoritäten.

Tara Bennett-Goleman sieht eine Lösung aus diesem Schema darin, die Empfindung des Grolls und der Frustration zu spüren und zu lernen, unseren eigenen Wünschen und Bedürfnissen nachzugehen. Achtsamkeit kann helfen, die automatischen Reaktionen, den Zorn und die Gedanken aufzudecken, die von der Angst ausgelöst werden, unter Kontrolle zu stehen.

13. Selbstaufopferung

Ich muss für das Wohl der Anderen sorgen. Die anderen brauchen meine Hilfe.

    • Ich opfere mich auf.

    • Meine Eltern waren überfordert bzw. schwach oder überforderten mich.

    • Ich bin ein guter Mensch, da ich mehr an die anderen denke als an mich.

    • Ich bin so damit beschäftigt, alles Mögliche für andere zu tun, dass ich keine Zeit für mich habe.

    • Letztlich bin ich gewöhnlich derjenige, der sich um die Leute kümmert, mit denen man sich nahe steht.

    • Ich war immer derjenige, der sich die Probleme anderer angehört hat.

    • Andere Leute sind der Meinung, dass ich zu viel für andere tue und zu wenig für mich selber.

Das Schema beschreibt das übertriebene Bemühen, die Bedürfnisse anderer in alltäglichen Situationen freiwillig zu erfüllen und resultiert häufig aus einer Übersensibilität für die Verletzungen anderer. Oft entwickeln die Personen ein übersteigertes Pflichtgefühl, die Überzeugung, stets für andere da sein zu müssen, sich intensiv um sie zu kümmern und eigene Bedürfnisse hinten an zu stellen. Sie wollen keine Last sein.

Die Hauptgründe sind der Wunsch, den anderen nicht zu verletzen, die Schuld, sich als Egoist zu fühlen, zu vermeiden, Achtung zu gewinnen oder die Verbindung zu anderen, die als bedürftig gesehen werden, zu erhalten.

Es kommt zur Entwicklung von Schuldgefühlen, wenn eigene Bedürfnisse wahrgenommen werden.

  • Aushalten: Ich mache mich immer nützlich, verhalte mich selbstverleugnend, tu zu viel für andere und zu wenig für mich selbst, ich fordere keine Gegenleistung und stelle meine eigenen Bedürfnisse zurück. Ich meide Vergnügungen und ergreife einen helfenden Beruf.
  • Vermeiden: Ich vermeide enge Beziehungen, in denen Geben und Nehmen eine Rolle spielt. Ich möchte keine Erwartungen an mich wecken.
  • Angriff: Ich bin enttäuscht, wenn die eigene Leistung nicht gebührend anerkannt wird, werde wütend auf die Bezugspersonen, wenn diese sich nicht revanchieren oder Dankbarkeit zeigen – oder ich gebe anderen so wenig wie möglich. Ich überbetone meine Abgrenzung, strebe nach Unabhängigkeit. Ich brauche niemanden, entscheide mich nie wieder etwas für andere zu tun und kann alles selbst machen.

14. Streben nach Bestätigung und Anerkennung

Ich muss es anderen Recht machen, um etwas wert zu sein.

    • Ich suche Beachtung, Zustimmung und Anerkennung.

    • Meine Eltern liebten oder belohnten nur erwünschtes Verhalten.

    • Meine Selbstachtung basiert vor allem darauf, wie die anderen mich sehen.

    • Ich bin so um Übereinstimmung bemüht, dass ich manchmal gar nicht weiß, wer ich eigentlich bin.

    • Selbst wenn ich jemanden nicht mag, wünsche ich mir immer noch, dass er/sie mich mag.

    • Wenn ich nicht eine Menge Aufmerksamkeit von den anderen bekomme, fühle ich mich weniger wichtig.

    • Viel Lob und Komplimente geben mir das Gefühl eine wertvolle Person zu sein.

    • Je nachdem, mit wem ich zusammen bin, verändere ich mich, damit die Leute mich lieber mögen.

Alles dreht sich um das Dazugehören – auf Kosten eines eigenen, soliden Selbstgefühls. Für das Gefühl der Selbstachtung ist es äußerst wichtig, bei anderen einen guten Eindruck zu hinterlassen; äußere Erscheinung und sozialer Status sind wichtige Eckpfeiler. Geld und Erfolg sind Mittel zum Zweck. „Aufmerksamkeit zu bekommen und bewundert zu werden ist mir oft wichtiger, als die Dinge, die mich wirklich zufrieden machen.“ Das Schema führt häufig zu unauthentischen oder unbefriedigenden Entscheidungen in wichtigen Lebensfragen oder zu Überempfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen.

  • Erdulden: Ich tu das von dem ich denke, dass die anderen es erwarten; ohne Lob durch die anderen ist die eigene Leistung nichts wert. Ich lenke die Aufmerksamkeit der anderen auf meine eigenen Errungenschaften und meinen Status.
  • Vermeiden: Ich  vermeide Beziehungen mit Personen, die ich bewundere, aus Angst deren Anerkennung nicht zu erlangen. Ich verhalte mich angepasst und weiche strengen Personen aus, um nicht negativ aufzufallen.
  • Kompensieren: Ich dränge mich auf die „Bühne“, spiele mich in den Vordergrund um die Anerkennung der Anderen zu bekommen (auch wenn es peinlich ist, z.B. als Klassenclown) oder extremer Individualist und Nonkonformist, z.B. Punker. Ich handele schamlos um das Missfallen bewunderter Personen zu erregen.
Britta Weinbrandt -  Raus aus der Lebensfalle Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

Wird das Bedürfnis danach verletzt, realistische Grenzen zu setzen und gesetzt zu bekommen und selbst Kontrolle ausüben zu können, hat auch das Folgen.

V. Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit

Der typische familiäre Ursprung liegt in der Überbetonung von Leistung, Perfektionismus, Ansprüchen und manchmal Strafe. Aufopferung, Selbstkontrolle und negative Bevormundung haben einen höheren Wert als Freude, Spaß und Entspannung.


Spontane Gefühle, Impulse und Entscheidungen werden unterdrückt. Der Fokus liegt darauf, rigide, internalisierte Regeln und Erwartungen hinsichtlich der eigenen Leistungen und ethischen Verhaltens einzuhalten. Dies geschieht auf Kosten von Glück, Freude, Gesundheit, Optimismus oder Kreativität. Gewöhnlich existieren bei diesem Schema eine Tendenz zum Pessimismus und die ständige Sorge, alles könne zerfallen, wenn man nicht ständig wachsam und vorsichtig sei.

Das Erleben ist beherrscht von Gefühlsvermeidung durch strafende Innere Eltern. Diese innere Stimme kritisiert und entwertet und ist bestimmt von Selbstkritik, Selbstverachtung, Selbsthass. Die betroffene Person empfindet, dass sie selbst oder andere Bestrafung oder Tadel verdienen, und handelt oft danach, indem sie tadelnd oder strafend oder missbräuchlich gegen sich selbst (z. B. durch Selbstverletzung) oder andere vorgeht. Auch Suizidphantasien sind typisch. Wichtiger als die Regeln an sich ist die Art und Weise, mit der ihre Einhaltung erzwungen wird.

Dazu gehören die Lebenswunden, Negatives hervorzuheben, emotionale Gehemmtheit, überhöhte Standards und die Bestrafungsneigung.

15. Negativität / Pessimismus

Wenn es mal gut geht, kommt bald ein Übel.

    • Ich bin pessimistisch und hebe Negatives hervor.

    • Meine Eltern waren überängstlich und erwarteten überall Unglücke.

    • Man kann gar nicht vorsichtig genug sein, irgendetwas geht immer schief.

    • Wenn etwas Gutes passiert, mache ich mir Sorgen, dass wahrscheinlich etwas Schlechtes folgen wird.

    • Ich grüble oft über kleine Entscheidungen, weil die Konsequenzen eines Fehlers so gewichtig erscheinen.

    • Ich blicke mehr auf die negativen Aspekte und Ereignisse im Leben als auf die Positiven.

    • Wenn Leute zu enthusiastisch werden, fühle ich mich unwohl und möchte sie warnen, dass etwas schief gehen könnte.

Das Schema ist gewöhnlich verknüpft mit der Erwartung – die sich auf Berufliches, Finanzielles oder Persönliches beziehen kann -, dass es schließlich zu einer schweren Katastrophe kommen wird oder dass Aspekte des eigenen Lebens, die zurzeit gut laufen, sich letztendlich ins Gegenteil verkehren werden. „Ich fixiere mich gewöhnlich auf das, was schief gehen wird, und ich werde gewöhnlich Fehler machen.“ Gleichzeitig  werden positive Aspekte oder Gründe zum Optimismus minimiert oder völlig übersehen. Betroffene sind chronisch besorgt, übertrieben wachsam, mit einem Hang zum Klagen. Der Fokus liegt auf dem Schlechten (Schmerz, Tod, Verlust, Enttäuschungen, Vorurteile, ungelöste Probleme, mögliche Fehler, Betrug, Dinge, die schiefgehen könnten, Fehltritte, peinliche Situationen), verbunden mit übermäßiger Angst davor, folgenschwere Fehler zu machen. Daher kommt es bisweilen zu Unentschlossenheit.

  • Sich-Fügen: Ich bausche Negatives besonders auf, erwarte immer das Schlimmste und bereite mich darauf vor, ich höre interessiert Katastrophenberichterstattungen und mache positive Situationen klein.
  • Vermeiden: Ich erwartet nicht viel, halt die eigenen Erwartungen niedrig. Ich bevorzuge vertraute Umgebungen und Menschen; vermeide Neues, mache ungern Experimente.
  • Gegenangriff: Ich schließe Versicherungen ab; mache, was andere tun, oder rede gefährliche Situationen klein. Oder ich zeige Risikoverhalten bzw. bin eine Spielernatur, trinke, um die pessimistischen Erwartungen zu blocken und benehme mich unrealistisch positiv bzw. optimistisch.

16. Emotionale Gehemmtheit

Wenn ich meine Gefühle zeige, werde ich bestraft.

    • Die anderen halten mich für emotional gehemmt.

    • Meine Eltern waren kalt und bestraften spontanes, lebendiges Verhalten.

    • Ich kontrolliere mich so sehr, dass die anderen denken, ich sei emotionslos.

    • Ich bin zu befangen, um positive Gefühle anderen gegenüber zu zeigen (z.B. Zuneigung, Besorgnis).

    • Es bringt mich in Verlegenheit, meine Gefühle gegenüber anderen auszudrücken.

    • Ich finde es schwer, herzlich und spontan zu sein.

    • Die Leute halten mich für emotional angespannt.

Dieses Schema betrifft Menschen, die Angst davor haben, Gefühle zu zeigen. Es zeigt sich als übertriebene Hemmung spontaner Handlungen oder Kommunikation, um nicht das Missfallen anderer oder eigene Gefühle der Scham und Kontrollverlust zu erleben. Die häufigsten Formen emotionaler Gehemmtheit sind:

    • Hemmung von Ärger und Aggression

    • Hemmung positiver Impulse (Freude, Zuneigung, sexuelle Erregung)

    • Hemmungen beim Ausdruck eigener Verletzbarkeit oder beim Ausdruck der eigenen Gefühle oder Bedürfnisse

    • Überbetonung von Rationalität bei gleichzeitiger Missachtung von Emotionalität.

  • Hinnehmen: Ich werte Sachlichkeit, Vernunft und Ordnung über dem Gefühl, zeige keine spontanen Gefühle, Wünsche oder spontanes Verhalten. Ich agiere in sehr kontrollierter, abgeflachter Art und Weise.
  • Vermeiden: Ich meide Spontaneität und Aktivitäten, die emotionalen Selbstausdruck beinhalten (auch wenn es um den Ausdruck von Angst oder Liebe geht) oder ungehemmtes Verhalten erforderlich ist (z. B. Tanzen). Ich will nicht auffallen, nicht drängeln oder reklamieren.
  • Kompensieren: Ich liebe straffe Strukturen (Militär, Polizei) oder habe eine Neigung zu Exzessen, handele impulsiv und ohne Hemmungen (manchmal unter dem Einfluss von enthemmenden Substanzen wie Alkohol oder Drogen), auch im Internet.

17. Perfektionismus

Nur wenn ich gut bin, bin ich etwas wert.

    • Ich habe überhöhte Standards, eine übertrieben kritische Haltung.

    • Egal, wie sehr ich mich bemühe, ich bin nie gut genug.

    • Ich habe unerbittliche Ansprüche.

    • Eltern gaben „Liebe nur für Leistung“.

    • Ich muss in fast allem was ich tu der Beste sein; ich kann es nicht akzeptieren, der Zweite zu sein.

    • Ich versuche mein Bestes zu geben; ich kann mich nicht damit abfinden “gut genug” zu sein.

    • Ich muss alle meine Verantwortlichkeiten erfüllen.

    • Ich spüre einen ständigen Druck etwas zu leisten und alles erledigt zu bekommen.

    • Ich kann mich nur sehr schwer aus Verantwortlichkeiten lösen oder mich für meine Fehler entschuldigen.

Die Ursprünge dieser Lebensfalle liegen in einem überzogenen Leistungsanspruch der Eltern. Bei wem diese Lebensfalle ein Rolle spielt, versucht ohne Unterbrechung immer der/die Beste zu sein, gewöhnlich um Kritik zu vermeiden. Er ist bemüht, den extrem hohen Erwartungen an sich, den verinnerlichten Verhaltens- und Leistungsstandards gerecht zu werden. Diese Menschen glauben, wenn sie sich nur genug anstrengen, könnten sie perfekt sein – und würden dann endlich die Anerkennung bekommen, nach der sie sich so sehnen.

Üblicherweise entstehen Gefühle von Druck, Schwierigkeiten beim Abschalten und eine überkritische Haltung sich selbst und anderen gegenüber. Dies geschieht auf Kosten von Glück, Spaß, Entspannung, Spontaneität, Spiel, Gesundheit, befriedigenden Beziehungen. Unerbittliche Ansprüche zeigen sich häufig in Form von:

    • Perfektionismus, der sich in der Konzentration auf Details und der Unterschätzung der eigenen Leistung zeigt

    • starren Regeln und verinnerlichten Forderungen

    • dem ständigen Fokus auf Effizienz, um mehr zu erreichen.

  • Erdulden: Ich versuche, eine perfekte Leistung zu erbringen, setze hohe Standards für mich und andere.
  • Vermeiden: Ich meide unstrukturierte Situationen, Pausen oder Ruhe; übernehme keine schweren Aufgaben, zögere oft.
  • Kompensieren: Ich fordere erhöhtes Leistungsverhalten auch von anderen oder steige aus, werfe alle hohen Standards über Bord und stelle Leistungsverhalten grundsätzlich infrage (alternative Lebensentwürfe). Ich siedele mich auf einem unterdurchschnittlichen Niveau an.
Britta Weinbrandt -  Raus aus der Lebensfalle Kindheitsmuster durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auflösen

18. Bestrafen / Strafneigung

Ich bin böse. Strafe muss sein.

    • Ich brauche Bestrafung.

    • Meine Eltern vermittelten mir das Gefühl, dass ich böse bin und bestraft werden muss.

    • Wenn ich einen Fehler mache, verdiene ich es bestraft zu werden.

    • Es gibt keine Entschuldigung, wenn ich einen Fehler mache.

    • Wenn ich eine Aufgabe nicht übernehmen will, sollte ich auch unter den Konsequenzen zu leiden haben.

    • Wenn Leute etwas Schlechtes machen, habe ich Schwierigkeiten mit der Haltung: „Vergeben und vergessen“.

    • Ich werde ärgerlich, wenn Leute sich Entschuldigungen ausdenken oder anderen die Schuld an ihren Problemen geben.

Im Mittelpunkt des Schemas steht die Überzeugung, dass Leute auch für kleinste Fehler hart bestraft werden sollten. Solche Menschen können weder gegenüber sich selbst noch gegenüber anderen Fehler vergeben oder Schwächen akzeptieren. Hinzu kommt die grundlegende Abneigung mildernde Umstände zu berücksichtigen, menschliche Unvollkommenheit zu erlauben oder sich in die Gefühle anderer einzufühlen. Diese Vorstellung hat die Tendenz zur Folge, wütend, strafend oder ungeduldig mit Leuten zu sein, die nicht den eigenen Standard erreichen.

  • Erstarren: Ich verhalte mich anderen gegenüber besonders harsch oder strafend, bin streng und unnachsichtig zu mir und anderen, kann keine Fehler durchgehen lassen.
  • Flucht: Ich befolge alle Regeln peinlich, um keine Fehler zu machen. Ich vermeide Situationen, die eine Bewertung beinhalten könnten, um der Angst vor Strafe zu entkommen.
  • Gegenangriff: Ich verstecke mich beim Bestrafen hinter überpersönlichen Regeln oder zeige mich übertrieben vergebend und heuchlerisch mild, während Ärger und Strafgedanken bei mir vorherrschen und ich innerlich wütend bin.

Das waren sie.

Zum Abschluss möchte ich gern noch die ersten Schritte zur Veränderung weitergeben, wie Jeffrey Young sie vorschlägt.

 1. Lebensfallen benennen und identifizieren

Letztendlich geht es einfach darum, dass wir als Erwachsenen genau die Umstände unserer Kindheit rekonstruieren, die für uns am schädlichsten waren. Dieser Artikel sollte bereits eine erste Möglichkeit dazu eröffnet haben.

2. Den Ursprung ihrer Lebensfalle in der Kindheit begreifen und Kontakt aufnehmen zum verletzten inneren Kind

Die Gefühle fühlen, die da sind, und in Dialog treten mit dem verletzten Kind, zum Beispiel  im Schreiben mit der nichtdominanten Hand.

Ziel ist es, in Anerkennung unserer Wunden dem zufriedenen, glücklichen Kind Raum zu geben, damit wir uns geliebt, zufrieden, zugehörig, zufriedengestellt, erfüllt, beschützt, akzeptiert, gelobt,wertvoll, versorgt, angeleitet, verstanden, bestätigt, selbstvertrauend, fähig, angemessen autonom und selbstbewusst, sicher, stabil, stark, unsere Geschicke steuernd, anpassungsfähig, dazugehörig, optimistisch und spontan fühlen können.

3. Unsere Lebensfalle widerlegen und beweisen, dass diese rational nicht haltbar ist

Eine Pro- und Kontra-Liste erstellen, die für und gegen das Vorhandensein der negativen Glaubensüberzeugungen sprechen. Sich anschließend fragen, ob das Aufgelistete wirklich stimmt und wie ich es verändern könnte, damit es nicht mehr stimmt. Eine Liste erstellen mit allen Argumenten, die dagegen sprechen. Ganz am Schluss eine Zusammenfassung auf eine Flashcard erstellen. Diese jeden Tag durchlesen, eine Kopie im Portemonnaie mit sich führen, oder am Bett deponieren…

4. Einen Brief schreiben…

…an den Elternteil, den Bruder, die Schwester oder den Altersgenossen, der oder die an der Entstehung ihrer Lebensfalle maßgeblich beteiligt war. Die Gefühle darin schwülstig zum Ausdruck bringen.

 5. Die Lebensfallen-Muster sehr detailliert untersuchen
    Wege aufschreiben, die zur Verstärkung des Musters führen, und daneben Ideen auflisten, wie ich das verändern kann.

6. die Verhaltensmuster aufbrechen
Eine der in den erstellten Listen genannten Veränderungsvorschläge auswählen und umsetzen. Klein anfangen, an den Kollegen oder alltäglichen Begegnungen wie mit Verkäufern ausprobieren, nicht gleich an den eigenen Eltern.

7. Dranbleiben
Sich bemühen, weiter kleinere Veränderungen umzusetzen, ohne sich entmutigen zu lassen.

8. Den Eltern vergeben
… hat sich als hilfreich erwiesen. Es stellt sich häufig automatisch ein, wenn wir erkennen, dass auch unsere Eltern in ihren Kindheitsmustern gefangen waren. Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht geht, so ist es auch nicht notwendig.

Als gesunde Erwachsene mit integriertem Selbst sind wir in der Lage, angemessen zu handeln und Verantwortung zu übernehmen, Verpflichtungen ausfüllen und zu arbeiten. Wir können fühlen, uns mit andern freuen und unsere Zeit lebenszielorientiert gestalten. Wir haben Spaß.

Wir bestätigen und bestärken das verletzbare Kind, begrenzen das verärgerte und impulsive Kind, fördern und unterstützen das gesunde Kind, das zum glücklichen Kind wird, sich geliebt und mit anderen verbunden fühlt, allein sein kann und spielt. Wir bekämpfen und, wenn möglich, ersetzen die oben beschriebenen Lebensfallen.

Mich hat es fasziniert, einige der Glaubenssätze, bei denen ich mich im Laufe meines Lebens durchaus erwischt habe – Mark Wolynn nennt es Schlüsselsprache und regt an, darauf zu achten – in derart detaillierter Form aufgelistet zu sehen. In der Emotionalen Alchemie fehlte mir der Durchblick und ich träumte von einer solchen Aufstellung. Mit diesem Artikel habe ich sie mir geschenkt. Ich freue mich darauf, mit Hilfe meiner Selbstzertifizierungen weitere dieser Muster durchbrechen und auflösen zu können!

Dennoch ist mir der Fokus etwas zu sehr auf das Drama im Elternhaus ausgerichtet und es lohnt sich der Blick aufs Familienerbe generell, da solche Muster durchaus auch unbewusst transgenerational, einmal als Kollektivtrauma, aber durchaus auch über Einzelschicksale vorangegangener Familienmitglieder an uns weitergegeben werden können. Nach Kristin Neff ist neben der selbstbezogenen Freundlichkeit und der Achtsamkeit für mich selbst eine sehr wichtige Komponente der Praxis des Selbstmitgefühls die Verbundenheit mit anderem im Sinne von „Ich bin nicht die einzige mit diesem Problem“ – daher lohnt es sich immer, sich mit anderen auszutauschen und auch im Familienkreis mal nach Parallelen in den Biographien unserer Vorfahren zu fragen. 

Weitere Ideen finden sich in meinem Artikel „Aussteigen aus dem negativen Gedankenkarussell“.

Wie ich von einem Kanaldeckel lernte, mich selbst wieder zu spüren

Dem Körper eine Stimme geben – Stimmarbeit mal anders

Es gab eine Zeit, da habe ich überhaupt nicht gut auf mich aufgepasst. Also eigentlich gar nicht.

Husch husch habe ich viele vermeintlich unwichtige, mich von meinen eigentlichen Vorhaben abhaltende Dinge zwischen Tür und Angel erledigt – immer schon im Geiste beim nächsten abzuarbeitenden Punkt. Ich selbst war egal. Ich spürte mich wenig.

Sehr bezeichnend war die Aktion, in der ich kurz in Puschen rausging, um den Kanaldeckel zu halten, unter dem unser Öltank versteckt ist. Kurz mal helfen, den Pegelstand zu messen.

Glitsch, machte der schwere unhandliche gusseiserne Kanaldeckel auf dem Laub – und zermalmte auf seiner Flugbahn fast die Hände meines Mannes. Bevor er gezielt auf meinem linken Fuß aufsetzte.

Mein Mann war so sauer auf mich wegen seines Beinahe-Unfalles, dass ich stoisch das Ding aufnahm und ihn mit plötzlich deutlich geschärfter Konzentration so lange wirklich gut festhielt, bis er den Messstab wieder plaziert hatte. Während ihm der Messstab mehrfach aus den Händen glitt, wartete ich geduldig auf das Ende des Messvorgangs und spürte das Blut in meinen sich spontan verdreifachenden Fuß schießen. Danach erst humpelte ich nach drinnen und suchte mir was zum Kühlen.

Ich komme aus einer Familie, in der halb abgetrennte Daumen mit einem Pflaster behandelt werden. Natürlich ging ich am nächsten Tag zur Arbeit. Ich hatte ja nichts Ansteckendes. Ich tauschte schlicht für eine Woche meinen Schaltwagen gegen den Automatik von meinem Mann. Die Reitschuhe meines Sohnes waren drei Nummern größer als meine Schuhe und nahmen meinen Fuß gekonnt für einige Wochen auf.

Ich ging eine Woche später sogar zu meinem Hausarzt. Als er sich das regenbogenfarbige Etwas, das mal mein Fuß gewesen war, anschaute, zeigte er sich mit mir einig, dass er sich für einen Körperteil, dem etwas Entsprechendes widerfahren ist, erwartungsgemäß verhielt.

Erst nach einem halben Jahr wurde ich wirklich nervös, als die Schwellung noch immer nicht ganz abgeklungen war. Der Orthopäde gratulierte mir zur erfolgreichen Heilung dreier glatter Brüche, die – wie er bemerkte – unter seiner Behandlung nicht besser ausgesehen hätten. Und verschrieb mir eine Bandage, die wirklich gut tat. Nach und nach brauchte ich sie immer weniger.

Das Ganze ist Jahre her.

Ich war so überarbeitet, dass ich meinen Körper nicht mehr gefühlt habe.

Zum Glück bin ich in meinen jungen Jahren sowas wie die Königin der Psychosomatik gewesen und kannte eigentlich das Gegenteil davon – dass mich mein Körper mit diversen selbst produzierten Symptomen um meine Aufmerksamkeit bittet.

Ich wusste: Mein Weg da raus ging über die Atmung. Über das Spüren. Raum zu geben. Über das Zulassen aller meiner Symptome im Hier und Jetzt. Über das kompromisslose Annehmen meines So-Seins. Über Hingabe.

Und das tat ich. Ganzheitlich.

Heute fühlt sich mein Körper von Kopf bis Fuß durchlässig an – die Energie verteilt sich überall. Überall und über meinen Körper hinaus.

Nur nicht in meinen linken Fuß.

Er steht weiter als Mahnmal für die Zeit, in der ich nicht mit mir verbunden war.

Vor kurzem nervte es mich so, dass ich tatsächlich einen Beitrag über meinen linken Fuß schrieb und um Ideen bat, wie ich diesen verlorenen Körperteil integrieren möge.

Ich bekam wunderbare Antworten. Und dann erst kam ich drauf.

Mein Weg da rein geht über die Atmung. Über das Spüren. Ich muss meinem Fuß Raum geben. Alle meine Symptome im Hier und Jetzt zulassen. Sein So-Sein kompromisslos annehmen. Mich ihm hingeben.

Wie konnte ich das vergessen?

Dem Körper eine Stimme geben

Ich setzte mich also aufrecht in meine Meditationshaltung, entspannte mich und dehnte meinen Atem auf den ganzen Körper aus.

Ich liebe die körperzentrierte Herzensarbeit. Bei der soll man eigentlich nur sitzen und fühlen. Das funktioniert bei mir nicht. Mein Körper will sich manchmal bewegen dabei – und meine Stimme will die Gefühle um die es geht, ausdrücken. Wenn ich mich auf ein Symptom konzentriere, dann fängt der entsprechende Körperteil an, durch mich zu tönen. So kann ich auch die Atmung effektiver verstärken und es fließt mehr Lebensenergie dorthin. Je klarer und tiefer der Ton, desto wohliger.

Ich lebe damit – und setze es inzwischen zur Selbsttherapie bei mir ein.

Also konzentrierte ich mich auf meinen linken Fuß. Ich bat ihn um einen Ton. Der kam. Fiepsig. Abgebrochen. Viel zu hoch. Ein unangenehmer Kopfton. Kaum rauszubringen.

Ich versuchte es eine Weile. Ich wusste nicht, wohin es führen soll. Es war kläglich. Dann bat ich meinen rechten Fuß um einen Ton. Der war ein Brustton. Tiefer. Eher mittlere Lage. Ich wusste nun, wohin.

Zurück zum linken Fuß. Tönen. Den Ton halten. Immer wieder den Abbruch kitten, verbinden, halten. Zwischendurch seufzend und loslassend einatmen, unaufhörlich weiter vertiefend. Das ging sehr lange. Dann war es soweit. Der Ton rutschte tiefer. Ich konnte einen Brustton produzieren. Immer noch abgebrochen, aber sofort floss ein Strom prickelnder Energie in meinen Fuß hinein, wärmte ihn auf. Er war ein Teil von mir, ich konnte es kurz spüren.

Am nächsten Tag hatte ich nur kurz Zeit, dem Fuß vor dem Einschlafen mit ein paar wimmernden Kopftönen zu verdeutlichen, dass ich ihn nicht vergessen hatte.

Am Tag darauf dann war es wieder so weit. Ich rief ihn und bat ihn um einen neuen Ton. Nach einem langen zittrigen Kopfton wurde er mutiger und sackte nicht nur in die Brust, wo er eine Weile verweilte, nein, er rutschte sogar in den Bauch und ließ es zu, dass die entstehende Energie sich von dort in Wellen über die Schultern zu den Armen ausbreitete. Meine Arme schüttelten sich und zupften an der Körpermittellinie entlang, verbanden beide Seiten, schufen einen ganzkörperlichen Ausgleich zwischen Links und Rechts. Es fühlte sich wunderbar an. Ich war ganz.

Der bedürftige Zustand meines ewig verletzten Fußes war mir jedoch seitdem in jedem Moment bewusst. Und das fühlte sich noch nicht durchgängig wohlig an, sondern leicht unangenehm und schmerzhaft. Eher stachelig.

Ich habe ihm über eine Woche lang täglich Zeit gewidmet, bis ich dann am folgenden Wochenende das Gefühl hatte, dass mein Fuß wieder zu mir gehörte.

Erste-Hilfe in seelischen Notsituationen

Erstaunlich daran ist die Tatsache, dass ich die vielfältigsten Methoden kenne, wie ich in Kontakt gehe mit meinem Körper, dass ich die Atmung in den letzten Winkel schicken, mich steuern und regulieren kann – dass ich weiß, wie ich meinem Körper zuhören UND gleichzeitig eine Stimme geben kann – und doch in solchen Notfallsituationen für mich selbst nicht mehr darauf komme.

Weil jemand in Panik nicht mehr weiß, dass er 112 rufen muss, gibt es Aufkleber fürs Telefon. Erinnerungshilfen.

Ich fragte also andere, wie sie es schaffen, sich an ihre Ressourcen zu erinnern, um ein Erste-Hilfe-Set zur Verfügung zu haben, wenn ich es brauche.

Ich bekam wieder ganz wunderbare Ideen geschenkt, die ich gern hier teilen möchte.

  • Kooperation und Austausch mit anderen Menschen
  • SOS-Schachtel: Ein schönes Kästchen voller Zettel mit Ideen, Schnipsel mit Ressourcen, Wünschen, Namen von Freunden, Aktivitäten, Farben, Sprüche, die guttun… im Bedarf kann z.B. ein Zettelchen gezogen werden.
    Manchmal kann man einfach mal so reinschauen, Schnipsel hinzufügen und welche rausnehmen. Auch befüllbar mit kleinen Dosen mit verschiedenen Düften (ein Wattepad oder kleines Stück Stoff mit Duft bestäuben), oder Sand und ganz kleine Muscheln und Steinchen.
  • Überall ein paar Bilder aufhängen, die an Dinge erinnern, die gut tun (Kühlschrank oder Bildschirmhintergründe, eine Story-Board-Wand oder ähnliches).
  • Daraufhin wurde mir klar, dass ich ein wirksamstes Werkzeug zur Selbstermächtigung und Ressourcenverkkörperung quasi bereits lebe: Meine Selbstzertifizierungen!

Das Gute ist, dass ich inzwischen die Sicherheit habe, dass ich das wichtigste Werkzeug, das ich brauche immer dabei habe: Meinen Körper.

Das Atmen kann ich nicht vergessen. Und wenn ich nur daran denke, meine Wahrnehmung darauf zu lenken, dann geht die erste Hilfe schon los!

Mir wurde irgendwann klar, dass ich mein gesamtes Leben meiner Selbstheilung und Traumaauflösung gewidmet habe. Nach Jahren der Eigenpraxis habe ich beschlossen, das, was ich durch die Hingabe an mein Körperwissen für mich gewonnen habe, an andere weiterzugeben.

Ich öffnete erst mein Stimmpräventionsseminar für Berufssprecher als Onlineworkshop „Stärke Deine Stimme!“ für Menschen anderer Berufsgruppen – und ich entwarf „Umarme Deine Symptome!“

Wirkfaktoren von Stimmgesundheit

Ein Modell der gesunden Stimme von Britta Weinbrandt

 
Stimmen haben mich schon immer fasziniert. Den bewussten Weg in meine eigene Stimme begann ich während meiner Ausbildung zur Logopädin vor 25 Jahren. Unsere Sprecherzieherin war damals verblüfft, dass ich als private Britta ein total verhauchtes Stimmchen hatte, aber sobald ich z.B. ein Gedicht aufsagen durfte, ein Stimmvolumen aufbringen konnte, das mühelos einen ganzen Saal beschallte. Warum auch nicht? In meiner Logik war das ja sozusagen nicht ich, die da sichtbar war, sondern eine Rolle, die nichts von mir preisgab. Ich habe lang daran gearbeitet, die Kraft meiner Bühnenstimme auf meine persönliche Stimme zu übertragen, und es hat mich viel Mut gekostet, wirklich standfest und hörbar zu sein. Exzessives Theaterspielen hat mir beim Ausprobieren sehr geholfen. Meine Geschichte ist auf jeden Fall ein lebendiges Beispiel dafür, dass ein großer Teil der Persönlichkeit sich in der Stimme ausdrückt (nicht zuletzt bedeutet „per sonare“ ja „durchklingen“). Und dass es sich lohnt, bewusst daran zu wachsen.

Mein Herz schlägt seitdem für alle Menschen, die Schwierigkeiten mit ihrer Stimme haben. Das erste Seminar, das ich jemals ausgearbeitet habe, war demnach 2003 ein Seminar mit dem Titel „Körperarbeit und Stimme“. Dass Körperarbeit und Atmung die Schlüssel für einen physiologischen Stimmklang sind, war ein Geschenk für mich aus der Ausbildung. Im Laufe der Zeit hat sich mein Schwerpunkt in Richtung „Stimmprävention“ mit einem höheren individuellen Coachinganteil weiterentwickelt, und diesem Weg möchte ich auch als Arts & Change Coach eine Richtung geben. Natürlich kommen nicht alle Stimmprobleme aus dem Inneren, wie es bei mir war, es gibt schlicht Risikoberufe, in denen man leicht in eine chronische Stimmüberlastung geraten kann. Mein natürliches Habitat – das kommt aus meiner Qualifikation als Trainerin für alltagsintegrierte Sprachförderung – ist dabei meist die Kindertagesstätte. Ich bin allerdings speziell ausgebildet für die Lehrerstimme und es kommen auch immer wieder motivierte Lehrerinnen in meine Seminare.

Wir erarbeiten gemeinsam die Wirkfaktoren, die eine gesunde Stimmgebung bedingen. Als diese habe ich das stimmschonende Verhalten, die stimmfreundliche Umgebung und die positive Gesprächssituation herausgearbeitet, die es zu gestalten gilt. Beim Schreiben dieses Artikels erkannte ich, dass sich daraus ein schlüssiges und anschauliches Modell ergibt, das mir leicht fiel, zu visualisieren. Es ist in den Jahren eine beachtliche Ideensammlung zustandegekommen, die bestimmt auch zum Teil auf andere Berufe zu übertragen geht. Lehrer- und Erzieherstimmen jedoch sind allein durch die hohe Lärmbelastung (unter anderem in der Qualität von Düsenjets von bis zu 120 dB – in Turnhallen gemessen) besonders stark gefährdet.

Britta Weinbrandts Modell der Wirkfaktoren der gesunden Stimme

Gestaltung einer stimmfreundlichen Umgebung

Um möglichst geringe Nachhallzeiten zu erreichen, ist glücklicherweise in den meisten Einrichtungen bereits ein Schallschutz eingebaut. Günstig sind niedrige Deckenhöhen. Ein gutes Raumklima bedeutet eine ausreichende Luftbefeuchtung – notfalls feuchte Handtücher auslegen – und Belüftung.

Viele helfen sich mit Schallschluckern wie gepolsterten Tischdecken oder Tischsets, Raumteilern, Wandbildern und Gardinen, auch Pflanzen werden dafür eingesetzt. Manche bekleben Stühle mit den Bildern der Kinder, um lautes Stühlewechseln und -rücken zu vermeiden. Geräuscharmes Spielzeug kann angeschafft werden oder zumindest Spielzeugkisten, die lautes Spielzeug wie Bauklötze beherbergen, mit einer Schallisolierung ausgelegt werden.

Für den Versuch, Hintergrundlärm mit erhöhter Lautstärke zu übertönen, gibt es sogar einen Namen: Lombard-Effekt. Ein Sprecher, der von anderen gehört werden will, muss ganze 15 dB über dem allgemeinen Schallpegel liegen. Das ist auf Dauer anstrengend. Wikipedia setzt den Begriff Lärmschutz „nicht gleichbedeutend mit dem Begriff Schallschutz. Schall ist eine messbare Größe. Erst durch nicht messbare individuelle oder sozio-kulturelle Aspekte wird Schall zu störendem Schall, zu Lärm.“ Um Schallpegel zu messen, muss man sich kein Profigerät anschaffen, es lassen sich dafür leicht Apps herunterladen. Reizüberflutung in Räumen zu vermeiden und ein Bewusstsein für die Geräuschkulisse zu schaffen, ist sehr hilfreich.

  • Wenn die eigene subjektive Grenze erreicht ist, sollte man die anderen aufmerksam machen auf die Lautstärke (auch die anderen Mitarbeiter).
  • Eine Erzieherin erzählte kürzlich von einem aus Tonkarton ausgeschnittenen „roten Ohr“, das an einem Stab befestigt für alle zugänglich an der Wand hängt und bei zu hoch empfundener Lautstärke eingesetzt wird. Und zwar sowohl von den Erwachsenen als auch von den Kindern. Für die Gruppe ist dies ein Zeichen, bitte leiser zu sein, und es wird gut akzeptiert.
  • Eine Lärmampel macht eine objektiv zu hohe Lärmbelastung durch das rote Licht und ein akustisches Alarmsignal für alle fühlbar, es kann jedoch auch nach hinten losgehen, dass Kinder es als Sport betrachten, den Alarm auszulösen. Das sollte unter Umständen also nur dosiert eingesetzt werden.
  • Am schönsten fand ich, als eine Erzieherin mir berichtete, sie würde einfach ein Lied singen, wenn es ihr zu laut würde, und alle Kinder im Raum machten dann automatisch mit, egal, was sie gerade täten. Danach sei es immer ruhiger als vorher. Dies funktioniere auch beim Tischdecken.

Laufwege kann man gezielt versuchen, zu vermeiden. Gleichzeitig müssen natürlich Bedingungen geschaffen werden, in denen die Kinder laufen, schreien, rennen… dürfen. Ein Faktor einer besonders leisen Stimme kann auch sein, dass uns selbst in der Kindheit das Laut-sein-dürfen abtrainiert wurde. Dem sollten wir in der Folgegeneration entgegenwirken. Viel rausgehen also. Oder im Nebenraum für die Kinder alternative Möglichkeiten anbieten. Kleingruppenarbeit verringert ebenfalls die Belastung deutlich.

Entspannungsphasen sind ebenso als Stimmschonung zu betrachten. Sprechpausen sind wertvoll und können bewusst zu Schweigeminuten ausgedehnt werden.

  • Die klassischste Stilleübung, die jedem zuerst einfällt, ist Stille Post.
  • Wir können sie auch zu wunderschönen Ritualen werden lassen, z.B. indem jedes Kind nacheinander Seidenpapier in eine gläserne Wasserkaraffe fallen lässt und schweigend beobachtet, wie die Farbe sich mit dem  Wasser vermischt.
  • Oder die Kinder hören regelmäßig (mit steigerbaren Zeitlängen – anfangs nicht mehr als eine Minute) mit geschlossenen Augen bei geöffnetem Fenster, was sie dort alles wahrnehmen.
  • Oder sie lauschen bewusst dem verklingenden Ton einer Klangschale oder Triangel nach.
  • Ich liebe auch den Schreibtanz, bei dem zu Musik großflächig mit beiden Händen gleichzeitig gemalt wird.
  • Oder die Kinder zünden nacheinander Stillekerzen an, die zum Beispiel in einer „Adventsspirale“ abgestellt werden.
  • Weitere Aktivitäten wie Fußmassagen oder die Arbeit mit Igelbällen können eingeführt werden.
  • Auch Bewegungsangebote wie Kinderyoga oder Eurythmie wirken stimmschonend.
  • Snoezelen bedeutet viel Sensorik, Licht, Duft, leise Musik, selbst ein Wasserbett ist denkbar.
  • Das tickende Ei aus „Häuptling Wackelnix“, das bei zu starker Erschütterung in Gelächter ausbricht, kann ebenso eingesetzt werden.
  • Eines meiner beliebtesten Spielideen ist und bleibt meine Kiste mit den dreizehn Eieruhren, die ich alle gleichzeitig tickend im Raum verstecke und wieder auffinden lasse – da muss man automatisch leise sein…
  • Oder die Kinder stellen sich vor, eine bestimmte Pflanze zu sein. Womit wir bei den klassischen Entspannungs- und Traumreisen angekommen sind.

Achtsamkeit ist in der Erwachsenenwelt das neue Zauberwort, die Grundlage aller Stimmarbeit ist die Wahrnehmung (wie soll ich sonst was ändern können?). Entspannung zu erfahren ist demnach generell eine der größten Stellschrauben für eine wohlklingende Stimme.

Kritisch sind immer die Übergänge von einer Aktion in die nächste, da die Kinder über etwas informiert oder zu etwas zusammengetrommelt werden müssen. Mit diesem Wort ist jedoch schon die stimmfreundliche Lösung angedeutet:

  • Werden akustische Signale eingeführt, muss nicht zum Aufräumen gerufen werden, sondern die Kinder kommen, wenn die Klangschale ertönt. Die Klingel (z.B. aus Halli Galli) bedeutet, dass der Morgenkreis beginnt, eine afrikanische Harfe ist das Signal zum Zuhören, die Trommel ruft zum Sport, der Gong lädt zum Essen ein. Die Einsatzmöglichkeiten sind nahezu grenzenlos.
  • Ebenso eignen sich Mimik und Gestik. Handzeichen wie der „Leisefuchs“ sind sehr bekannt (aber neuerdings umstritten, da eine rassistische rechtsextreme Gruppierung in der Türkei sie verwendet und Kurden dadurch unnötig provoziert werden. Als Ersatz nehmen manche das Victory-Zeichen oder „alle Finger hoch“). Wenn die Hände in einem großen Kreis auf Bauchhöhe zusammengeführt werden, kann dies ein Symbol zum Versammeln in der großen Runde sein. Viele bringen den Kindern das „Stopzeichen“ mit der ausgestreckten Hand am ausgestreckten Arm zur Konfliktvermeidung (und somit Lautstärkereduktion) bei.
  • Anhand bestimmter Linien/Bodenmarkierungen kann verdeutlicht werden, ab wann z.B. schnelleres Laufen erlaubt ist (oder eben nicht).
  • Leises Runterzählen ist möglich.
  • Klatschspiele können als Aufforderung mit erwarteter Klatsch-Antwort gestaltet werden.
  • Ich kann auch die Erwartungshaltung der Kinder ausnutzen, indem ich ein Signal durch Hinsetzen gebe oder durch Einfrieren in der Position, in der ich mich gerade befinde, bis alle es wahrgenommen haben und gefolgt sind.
  • Ich kann ebenso die eigene Stimme senken, um den Außenlärm zu senken oder erst reden, wenn alle leise sind, um die Kinder dadurch erst leise zu kriegen.

Bewusste Körperpräsenz kann solche Strahlkraft entwickeln, dass alle mich anblicken „müssen“. Existentiell ist eigentlich, dass ich den Kindern ganz klare Regeln setze, damit sie noch im Schlaf wissen, was bei welchem Signal zu tun ist, und zwar vorzugsweise von Anfang an. Schließlich geht es – wie in eigentlich allen Lebenslagen – auch darum, den Kindern mit dem eigenen Verhalten ein Vorbild zu sein.

Mit den letzten Beispielen sind wir schon ein wenig bei den Faktoren gelandet, die ich durch mein persönliches Verhalten steuern kann. Schnittstelle zwischen diesen beiden Bereichen der stimmfreundlichen äußeren Umgebung und meinen eigenen stimmschonenden Aktivitäten ist definitiv die Selbstfürsorge. Wie viel ist mir meine Stimme wert? Wie viel bin ich bereit, selbst dafür zu tun, dass es mir – und somit auch meiner Stimme – gut geht (nicht umsonst besteht eine Wortverwandtschaft zwischen „Stimme“ und „Stimmung“)? Erst dann nämlich komme ich auf die Idee, mir dafür aktiv günstigere Voraussetzungen zu schaffen.

Auch in meinem Podcast habe ich mich dem Thema Selbstfürsorge angenommen.


Passe ich erst auf mich auf, wenn ich schon Probleme mit meiner Stimmbelastbarkeit wahrnehme, oder achte ich bereits von Anfang meines Berufslebens an darauf, meine Stimme zu schonen? Obwohl fast 60 Prozent der Lehrer im Laufe ihres Berufslebens aufgrund einer Stimmstörung einmal arbeitsunfähig werden, kommt es ja leider erst schleppend in der Ausbildung von Pädagogen an, dass man da nicht nur präventiv vorgehen könnte, sondern das auch sollte. Ich freue mich daher, dass ich vor einiger Zeit erstmals an einer Erzieherfachschule Stimmprävention als Wahlpflichtfach „unterrichten“ durfte. Denn man kann sich nur präventiv schützen, wenn man weiß, wovor! Aber wie kann das nun gehen?

Stimmschonendes Verhalten

Bei allem, was ich hier zusammenfasse, möchte ich vorab noch einmal deutlich herausstellen, dass es sich wirklich um Prävention handelt. Hinweise auf eine sich entwickelnde oder bereits bestehende Stimmstörung sind u.a. beginnendes Stimmversagen, Räusperzwang und Heiserkeit, und diese sollte nicht länger als drei Wochen dauern. Bei Verdacht empfiehlt sich unbedingt eine Vorstellung beim Phoniater. Dann helfen die folgenden Maßnahmen nicht mehr nur ohne längerfristige therapeutische Unterstützung.

Das wichtigste zu wissen ist sicherlich, dass die Stimmkraft nicht allein aus dem Kehlkopf geholt, sondern mithilfe des ganzen Körpers gebildet wird. Hier gilt es, einerseits „von unten“ unter dynamischem Einsatz des Zwerchfells aus einem guten Bodenkontakt heraus in eine gute Vokalisation zu kommen, als auch diese „von oben“ durch ausformulierte, entspannte Sprechbewegungen zu unterstützen. Ich werde häufig belächelt, wenn ich von Pädagogen als „Berufssprechern“ rede, aber die Stimme wird nun mal deutlich benötigt! Jeder Sportler weiß, dass er vor seiner nächsten Höchstleistung Aufwärmübungen, ja sogar anschließend Cooldownübungen einsetzen muss, um keine Probleme mit seiner Muskulatur zu bekommen. Die Stimmlippen sind auch Muskeln….

  • Eine gute Körperspannung, die nicht zu schlaff aber auch nicht überspannt ist, wird von einer aufrechten Körperhaltung unterstützt, die weder eingesunken noch überstreckt ist.
  • Standfestigkeit, also mit beiden Beinen bewusst auf dem Boden zu stehen, die Knie dabei locker zu halten und an ein lockeres Kiefergelenk zu denken, begünstigt eine ebenfalls lockere Stimmgebung.
  • Es genügt, morgens und zwischendurch kurze aktivierende Bewegungseinheiten einzubauen, und wenn ich mich nur kurz mit den Händen von Kopf bis Fuß abklopfe oder meine Arme hin und her schwinge.
  • Es wäre wünschenswert, sich für diese kurzen Übungen eine, gern auch mehrere, feste Tageszeiten zu etablieren.
  • Bewusstes Gähnen ist sehr hilfreich und vertieft die Atmung.
  • Atemübungen vielfältigster Arten dürfen schamlos aus allen Bereichen geklaut und eingesetzt werden, gern auch aus dem Gesangstraining und dem Yoga.
  • Flüstern ist keine Stimmschonung und strapaziert die Stimmlippen enorm. Lieber leiser sprechen.
  • Dasselbe gilt für Räuspern, das starke Reibung und Reizung erzeugt. Lieber Husten.
  • Die physiologische Sprechstimmlage ist durch die Länge der Stimmlippen bestimmt. Unter Belastung verlieren wir sie manchmal, deswegen ist es sinnvoll, sich auf sie zurückzubesinnen. Dies geschieht durch genüssliches Kauen, wodurch der mühelose, uns natürlich gegebene Stimmklang entstehen kann. Ein „mmh“ kann man auch beim Telefonieren beim Signalisieren des Zuhörens, als bewusste Stimmübung ansehen.
  • Man kann mundmotorische Übungen mit den Kindern mitmachen (das wird mein nächster Artikel werden).
  • Lutschbonbons helfen und werden häufig genannt, z.B. GeloRevoice, Emser Salze, Isla Moos. Von Eukalyptus und Menthol wird abgeraten.
  • Es sollte auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, 2-3 l täglich.

Das wichtigste Element bei allen genannten Beispielen ist es, sich selbst und die eigenen Bedürfnisse wahr- und ernstzunehmen, und sich vielleicht auch einmal zu erlauben, sich aus der Gruppe abmelden und zurückziehen zu können, um in eine wirklich erholsame Pause zu gehen. Mir wird z.B. häufig von bewusst gestalteten Toilettengängen mit kurzen Entspannungs- und Bewegungsmomenten berichtet, die ja offenbar schwierig genug zu organisieren sind. Allein für einen kurzen Augenblick den Atem wahrzunehmen, kann Wunder wirken.

Bislang wurde eher von Situationen innerhalb einer Kinderhorde gesprochen. Was die Mitteilungen an eine Gruppe angeht, so hilft

  • direkte Ansprache
  • kürzere Sätze zu sprechen
  • nicht so viel zu erklären
  • zielorientiert zu sprechen
  • Sprechpausen zu setzen.

Bei den folgenden Hinweisen, die ich gesammelt habe, geht es bereits um den Dialog, häufig in der Einzelsituation mit den Eltern, aber auch mit den Teamkolleginnen. Und wenn ich etwas gelernt habe, dann dass in Seminaren, in denen es um Kommunikation im allgemeinen geht, sehr oft die Gefühle hochschaukeln. Da geht es um ein Kind, das einem am Herzen liegt, und man erwünscht sich für eine gute Entwicklung von den Eltern eine bestimmte Intervention – und diese lassen nicht mit sich reden oder sehen die Sache ganz anders. Das verursacht zusätzlichen Stress. Aus der Reflexion meines Wirkens als Logopädin heraus bin ich der tiefen Überzeugung, dass die meisten zwischenmenschlichen Probleme Ausdruck mangelnder oder unzureichender Kommunikation sind. Eine zusätzliche Herausforderung sehe ich in einem gelassenen Umgang mit beteiligten Emotionen.

Deshalb sehe ich ganz klar Stressregulation als die Schnittstelle zu einer idealen Gesprächssituation. Nur wenn ich sozusagen in meiner Mitte ruhe, kann ich die stressbedingten Fluchtimpulse der galoppierenden Emotionen, die die Atemfrequenz und die Muskelanspannung erhöhen, umwandeln und in einer entspannten Atemtiefsetzung bleiben. Da dies sehr viel mit der Stimmgebung zu tun hat, macht es für mich den dritten großen Faktor aus, an dem pädagogische Fachkräfte etwas für ihre Stimme tun können. Daher frage ich sie regelmäßig, was sie sich denn für ein phantastisch laufendes Gespräch wünschen. Die Antworten klingen sehr schön.

Idealer Gesprächspartner und optimale Gesprächssituation

Stimmige Rahmenbedingungen sind bereits durch angemessene Räumlichkeiten mit einem angenehmen Raumklima geschaffen. Einen Gesprächsrahmen setzen eine gute Begrüßung und Verabschiedung mit Zusammenfassung des Gesagten. Eine gute Vorbereitung und gute Beziehung zum Gesprächspartner geben Sicherheit. Gegenseitige Sympathie wäre schön. Es geht um ein Miteinander in entspannter Atmosphäre, mit gelebter Offenheit und Empathie, in der alles in Ruhe und Gelassenheit angesprochen werden kann. Auf momentane Befindlichkeiten wird geachtet. Es gibt Pausen.

Die Sprecher selbst sind sich gegenseitig ein Vorbild. Sie halten freundlichen Augenkontakt und respektieren und wertschätzen sich. Sie reden in angemessenem Sprechtempo, artikulieren deutlich verständliche Laute in angenehmer Lautstärke, verwenden einen differenzierten Wortschatz und sprechen strukturiert und in nachvollziehbarer Reihenfolge logisch aufeinander aufbauend auf ein Ziel hin, erzählen zusammenhängend. Sie atmen dabei. Die Sätze sind kurz.

Selbstverständlich zeigen sie Sprechfreude, setzen nonverbale Zeichen ein, lebendige Mimik und unterstreichende Gestik. Man hört ihnen gern zu, denn sie verwenden Betonung und Sprachmelodie. Zuhören geschieht aktiv und intensiv, das Gespräch wird in einem Dialog fließen gelassen, in dem jeder zu Wort kommt, den anderen ausreden lässt, und auch einmal „aushalten“ kann, auf die nächste Redezeit zu warten. Inhalt geht strikt vor Form. Es gibt nicht zu viele Fragen, und wenn, dann werden offene Fragen gestellt.

Die wirkliche Professionalität zeigt sich auch hier in der Selbstfürsorge, durch Eigenstärkung und Loslassen: Die Verantwortung für den Gesprächsausgang kann abgegeben werden, indem z.B. ein Gesprächsprotokoll unterschrieben wird. Die pädagogische Pflicht ist jedenfalls mit der Gesprächsführung an sich getan.

Daher ist meines Erachtens die hier anschließende Schnittstelle die Gesprächskultur, in der jede pädagogische Fachkraft innerhalb ihrer Einrichtung eingebettet ist. Und die wird meist von der Leitung bestimmt. Das allgemeine Arbeitsklima ist für den Wohlfühlfaktor und somit für den Erhalt einer gesunden Stimme nicht zu unterschätzen.

Ich danke allen Teilnehmerinnen der Seminare „Stimmprävention für pädagogische Fachkräfte“ für ihre tatkräftige Unterstützung.

Aussteigen aus dem negativen Gedankenkarussell

Wie ich hinderliche Glaubenssätze umwandele und Gefühle kläre


Hochsensitiv zu sein bedeutet, einen intensiven Zugang zur Welt zu haben. Reize werden oftmals stärker wahrgenommen und brauchen länger, um verarbeitet zu werden. Die feinfühlige Sinneswahrnehmung für die Umgebung geht einher mit einer reichen Innenwelt, einer blühenden Gefühls- und Gedankenwelt. Dies kann ein hohes Potential bergen, sich positiv weiter zu entwickeln, empathisch für die Bedürfnisse anderer zu sein und sich selbst sehr gut zu kennen – ein Thema, dem ich mich in meinem Artikel über Hochsensitivität widme.

Oft ist jedoch das genaue Gegenteil der Fall. Eine Reizüberflutung führt zu einem Rückzug. Und anstatt dass man dann etwas Gutes für sich tut und seine Reserven wieder auftankt, geht es los mit den Selbstvorwürfen.

Je länger ich mich mit dem Thema Hochsensitivität beschäftige, desto deutlicher wird mir, was die Menschen, die ihre Feinfühligkeit grundsätzlich als positive Stärke bewerten von denen unterscheidet, die unter ihr leiden. Es ist das negative Gedankenkarussell, in das wir uns selbst stecken.

Niemand tut anderen etwas Schlimmeres an, als eine perfektionistisch veranlagte hochsensitive Person sich selbst

Bevor Hochsensitive sich mit anderen austauschen, steht das Resultat in ihren Köpfen oftmals schon fest. Ich wurde kürzlich konfrontiert mit so heftigen Zuschreibungen wie „Du wirst derartige Dinge vermutlich nicht akzeptieren können und für Dich verhöhnen…“ oder zweifelnden Fragen nach einem angenehmen und offenen Gespräch wie „Habe ich Dich verschreckt?“ Dabei bestand in diesen Aussagen kein Zusammenhang zu mir und meiner Welt. Ich fühlte mich jeweils nicht einmal wirklich angesprochen. Ich kann guten Gewissens sagen, niemals jemanden verhöhnt zu haben. Ich gerate ebenso selten aus der Fassung. Ich konnte also nicht gemeint sein. Es fand alles nur in den Köpfen meiner Gesprächspartnerinnen statt.


Hätte mich einen Tag vor diesen Äußerungen jemand gefragt, ob ich negative Glaubenssätze auflösen kann, hätte ich dies verneint. Als Expertin für vorwegnehmende Selbstkritik bringe ich ein immenses Insiderwissen mit…. aber Wege aus der Selbstzerfleischung aufzuzeigen? Wie denn?

Als ich dann die Ursache der Problematik erkannte, wurde mir klar, dass ich mich im Grunde mein gesamtes Erwachsenenleben mit genau diesem Thema beschäftige. Mir fielen plötzlich unglaublich viele Interventionsmöglichkeiten ein, die ich kenne und sogar ausprobiert habe, um mein eigenes Gedanken- und Gefühlskarussell zu stoppen. Daraus entsprang spontan die Idee, darüber zu schreiben. Inzwischen habe ich für die Interessierten sogar einen weiteren Artikel über die typischen Lebensfallen unserer Kindheitsmuster, die Schemata nach Jeffrey Young, veröffentlicht.
                                                                                                          
Ich fragte auch andere hochsensitiv Veranlagte. Viele berichten darüber hinaus, dass sie sich durch ihre differenzierte körperliche Wahrnehmung in Vorstellungen von möglicherweise existierenden Krankheiten hineinsteigern. Eine Weiterführung davon stellt der mir mehrfach beschriebene Zeitvertreib dar, sich für seine Lieben alle möglichen Todesarten vorzustellen. Ich erfuhr kreative und phantasievolle Versionen von Worst Case Scenarios. Unvergessen sind die Äußerungen unseres damals sechsjährigen Sohnes um seinen ersten Flug herum:

Vor dem Flug: „Papa, wenn es im Flugzeug gebrannt hat, dann rufen wir dich an.“
Während des Fluges: „Wenn wir abstürzen, dann mit der Schnauze zuerst, nicht nach hinten.“
Etwas später: „Ich habe Angst, ich will jetzt sofort zurück zu Papa.“
Bei der Landung: „Mama, das kann auch passieren, dass die Bremsen nicht gehen, dann fahren wir weiter und irgendwann knallen wir wo gegen.“
Nach der Landung: „So Mama, und jetzt steige ich nie wieder in ein Flugzeug!“
(es war nur der HINflug…)

Immer wieder höre ich Variationen von „Ich kann das nicht“ – und durfte den Gipfel einer solch strengen Selbstbewertung erleben, als ein hochbegabter Junge im Vorschulalter das von ihm noch gar nicht angefangene Bild bereits wütend zerknüllte. Dieses zerfurchte leere Blatt bewahre ich seit Jahren auf. Es ermahnt mich, positiv zu denken.

Ich selbst kann allerdings auch nächtelang damit zubringen, passende Formulierungen und Entgegnungen zu finden für längst vergangene Momente und Begegnungen, in denen ich sie gebraucht hätte.

Viele unserer negativen Gedanken und Überzeugungen stammen aus unserer Kindheit. Nicht alle hatten wir liebevolle Eltern. Nicht selten beschreiben mir hochsensitive Personen, dass sie nicht gewollt wurden und dass ihnen das von ihren Eltern auch freimütig und unschön übermittelt wurde. Und natürlich macht es das nicht einfacher, diesen Überzeugungen, nicht richtig zu sein, zu entkommen. Allerdings ist es möglich. 

Ich selbst hatte ein Thema mit negativen Gefühlen, die ich sehr lange nicht als die positive Kraftquelle und Grenzenanzeiger erkannt habe, die sie sind. Früher erlebte ich sie einfach nur als Bedrohung und entfernte mich davon, im Außen wie im Innen. Ich musste erst lernen, sie als Teil von mir anzuerkennen, der mir einen Veränderungswunsch mitteilen möchte.  

Mit meinem Projekt der Selbstzertifizierungen habe ich diesen Prozess bekräftigt.                             

James T. Webb beschreibt in seinem Klassiker „Hochbegabte Kinder – Das große Handbuch für Eltern“, wie negative Selbstgespräche auch mit unpassendem Stressmanagement zusammenhängen und regt folgende Fragestellungen zur Selbstreflexion an:

  • Wenn etwas bei mir schiefläuft – mache ich dann daraus eine Katastrophe?
  • Reagiere ich übertrieben und rede mir danach ein, ich würde einfach nichts taugen?
  • Mache ich mir regelmäßig meine Gedanken bewusst und nutze sie, um nach vorn zu schauen?
  • Verlange ich von mir und anderen permanente Hochleistung und erzeuge damit zusätzlichen Druck? 
  • Lebe ich vor, wie ich angemessene Ventile für einen gesunden Perfektionismus finde und bestärke mich in meinen Anstrengungen?
  • Konzentriere ich mich auf Fehler oder messe ich Erfolgen ebenso viel Bedeutung bei?
  • Erkenne ich Anstrengung und Erfolge an?
  • Spreche ich über meine Stärken oder eher über die Schwächen? 

Wir sind dabei also auch Vorbild für unsere Kinder. Jean Piaget erkennt bereits im Sprachgebrauch von Kindern das Phänomen der „egozentrischen Sprache“. Egozentrische Sprache sei nicht-kommunikativ, wiederholend und selbstbezogen. Dieser Monolog dient einerseits als eingesetzte Wortmagie der Wunscherfüllung einer Handlung, die das Kind nicht auszuführen vermag. Andererseits kann sein, dass das Kind das Wort noch nicht von der Handlung unterscheiden kann.

Erst das kommunikative Sprechen ist „sozialisiert“ und dient der Aufnahme von Beziehungen. Wir lernen also zuerst, mit uns selbst zu sprechen, bevor wir mit anderen sprechen. Webb schlägt daher vor, nicht nur darüber zu kommunizieren, was man am Tag so erlebt und was man dabei empfunden hat, sondern das Augenmerk ebenso darauf zu richten, was man darüber gedacht und zu sich selbst darüber gesagt hat. Denn das beeinflusst unser Verhalten und unsere Reaktionen auf Dinge, die uns geschehen, mehr als alles andere. 

Was steckt hinter dem negativen Gedankenkarussell?

Robert B. Dilts beschreibt in seinem Werk über die Auflösung von Glaubenssätzen „Die Magie der Sprache“, dass die am häufigsten auftretenden einschränkenden Überzeugungsmuster, die einen Einfluss auf die geistige und körperliche Gesundheit eines Menschen haben, die Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Wertlosigkeit sind.

  • Hoffnungslosigkeit, dass mein gesetztes Ziel definitiv unerreichbar ist. „Es ist nicht zu schaffen.“ Es ist das klassische Opferdenken.
  • Hilflosigkeit, dass ich zwar sehe, wie andere mein Wunschziel erreichen können, es mir jedoch verwehrt ist. „Ich kann es nicht schaffen.“ Es ist die typische Auffassung von jemandem, der denkt, nicht gut genug zu sein. Häufig genug sind das Menschen, die glauben, dass sie „schon alles ausprobiert“ haben. Umsonst.
  • Wertlosigkeit, weil ich es gar nicht verdiene, mein Ziel zu erreichen. „Ich bin es nicht wert.“ Es ist Ausdruck des gefühlten Hochstaplersyndroms. Es liegt häufig so tief im Verborgenen, dass es uns nicht bewusst ist. Es sind die klassischen Selbstsaboteure.                             

Bevor ich über meine persönlichen Methoden berichte, wie ich aus dem negativen Gedankenkarussell aussteige, ist es sinnvoll, folgende hilfreiche Vorannahmen und Theorien über die Möglichkeiten der Steuerung von Gedanken und Gefühlen an sich voranzustellen:

Hilfreiche Vorannahmen über das, was ich in meinem Leben beeinflussen kann

Einmal möchte ich es in Gedichtform sagen  (auch wenn es schon fast 20 Jahre her ist, dass ich es schrieb):

– Tief eingegraben in mir
dachte ich wären
Schmerz
Angst
Traurigkeit
Doch sie sind nur
auf das geworfen
was wirklich in mir ist
Freude und Lachen

Und nun ein wenig ausformulierter:

  • In meinem Kern bin ich richtig.
  • Ein Gefühl, dem ich Raum gebe, es annehme und bewusst erlebe, anstatt es zu unterdrücken, verliert seine Bedrohung.
  • Jedes Gefühl, das ich in mir wahrnehme, erhält erst eine Bedeutung, wenn ich es mit meinem Gedankensystem bewerte. Ich kann mich mit dem Problem   identifizieren oder ich kann es lösen, indem ich es von außen auf einer Metaebene betrachte. Ich entscheide, wie ich reagiere.
  • Ich habe die Fähigkeit, mein Leben aktiv und handelnd zu gestalten. Ich habe es in der Hand, meine Intuition (meine Emotionen), die aus meinen kindlichen Prägungen entspringt, begründet und bewusst mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen (meinen Gedanken und Bewertungen) zu verknüpfen und zu integrieren. Das ist meine Freiheit.
  • Negative Gedanken sind veränderbar. Ich zitiere Dilts: Durch Reframing (Umdeutung) können alle einschränkenden Überzeugungen in solche umgewandelt werden, die Hoffnung auf die Zukunft beinhalten, außerdem ein Gefühl der eigenen Fähigkeit und Verantwortung und ein Gefühl des eigenen Wertes und der Zugehörigkeit.
  • Die Welt ist mein Spiegel. Ein Konflikt, auf den ich mich emotional einlasse, deutet auf ein Gedankenkarussell hin, das sich auflösen möchte. Ein von mir verdrängter Anteil, ein Schatten, möchte integriert werden. Dafür kann ich mich aktiv entscheiden.
  • Der Schlüssel zur Wahrnehmung ist mein Körperempfinden. Jedes Gefühl, jeder Gedanke spiegelt sich in meinem Körper wider und kann dort bewusst von mir aufgesucht, erlebt und angenommen werden.

Ich denke, es wird bereits deutlich, dass ich neben dem kognitiven Bereich der Sprache auch den physischen Bereich der Emotionen und des Körpers als ebenso wichtig betrachte. Mein Zugang zur Lösung geht daher auch über den Körper. Das möchte ich als nächstes begründen.

Wie mein Körper mit meinen Gedanken und Gefühlen zusammenhängt

Ich möchte hierfür ein möglichst einfaches Modell zur Hilfe nehmen. Alexander Lowens „Bioenergetik“ stellt anhand von Bewusstseinsstufen das Wachstum und die Entwicklung der Persönlichkeit dar. Von Stufe zu Stufe gewinnt sie dabei an Schärfe und Unterscheidungskraft:

  • Körperliche Prozesse stellen dabei die unterste Stufe dar, entsprechend dem körperlichen Fühlen eines Kleinkindes, das Herzschlag und Atmung wahrnimmt und unbewusst reagiert.
  • Auf der nächsten Stufe werden bereits spezifische Emotionen wahrgenommen und identifiziert, welches die Wahrnehmung und Bezugsetzung zu einer Außenwelt voraussetzt.
  • Mit wachsender Bewusstheit der sozialen Welt und dem Spracherwerb setzt das Denken ein.
  • Bewusstes und objektives Denken führt zum Bewusstsein des Ichs. Auf dieser Ebene kann bewusst über ein Verhalten entschieden werden.
  • Hieraus entwickelt sich ebenfalls die Metaebene, in der man sich gleichzeitig über das eigene Denken bewusst wird, über das eigene Subjekt- und Objektsein.
Britta Weinbrandt - Körperarbeit

Lowen unterscheidet Menschen, die eher im Kopf-Bewusstsein mit ihren Gedanken und Vorstellungen, der „Idee des Fühlens“ unterwegs sind. Er sieht in deren Gegenpol Menschen mit Körper-Bewusstsein. Sie halten engen Kontakt zu dem Kind, das sie einmal waren und wissen, was und an welcher Stelle des Körpers sie etwas fühlen. Gleichzeitig könnten sie sagen, was andere fühlen und wie diese Gefühle an deren Körpern abgelesen werden könnten. Sie sind empathisch.

Erst über das Körper-Bewusstsein nähert die Bioenergetik sich dem Unbewussten, zu dem das Kopf- oder Ich-Bewusstsein keinen Zugang haben. Das Ziel besteht jedoch nicht darin, das Unbewusste ins Bewusstsein zu rücken, sondern es als Kraftquelle und als Stärke zu nutzen, es vertrauter und weniger furchterregend zu machen.
                                                                                                  
Auch Riedener Nussbaum und Storch, die sich mit Selbstmanagement beschäftigen, sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Körper-Selbst und dem Unbewussten. Das Unbewusste wird von ihnen als anpassungsfähig beschrieben, da es nicht nur angeboren ist, sondern sich durch neu erworbene Elemente in ständiger Veränderung befindet. Das Körper-Selbst dient dabei als Erfahrungsspeicher. Dadurch lässt sich begründen, wie die im emotionalen Erfahrungsgedächtnis ständig stattfindenden Bewertungsprozesse ihren körperlichen Ausdruck finden. Sie nennen sie „somatische Marker“. Diese wiederum lassen auf ein Körperwissen unterhalb der Bewusstseinsschwelle schließen, das z.B. in manchen Entscheidungsprozessen zu intrinsisch motivierten Zielsetzungen mit hoher Erfolgsaussicht verhelfen kann. Auf dieser Grundlage haben sie das Zürcher Ressourcenmodell entwickelt.

Safi Nidiaye beschreibt vier Emotionsschichten. Wenn an der Oberfläche eine negative Emotion wie Ärger oder Stress wahrnehmbar ist, so kann das tieferliegende Gefühl darunter ein verdrängter Schmerz sein, der uns z.B. in unsere Kindheit zurück katapultiert. Ich fühle mich dann abgelehnt, alleingelassen, ungerecht behandelt – ohne dass das mit der akuten Situation irgend etwas zu tun hätte. Wenn ich von dort weiter forsche, ist darin häufig ein Wunsch versteckt, von dem ich gerade abgetrennt bin. Diese verborgene Sehnsucht nach dem Gegenteil dessen, was ich gerade fühle, kann bedeuten, dass ich geliebt, gesehen und angenommen werden möchte, wie ich bin. Und darin ist dann oft in der am tiefsten gelegenen Schicht wiederum ein schönes Gefühl zu entdecken, z.B. Sicherheit und Glück.                                                                              

Was macht ein gutes Leben aus?

Nach Adler und Fagley zeige ich ein annehmendes und wertschätzendes Leben wie folgt:

  • mich auf das zu besinnen, was ich habe – und nicht auf das, was mir fehlt
  • Ehrfurcht
  • Rituale aufzubauen, in denen ich meine Erfolge feiere
  • mich auf das Hier und Jetzt zu besinnen
  • Vergleiche anzustellen (aber nur, wenn ich heute im Vergleich zu vorher oder in Bezug auf andere besser da stehe – Vergleiche nach unten sind hilfreich, Vergleiche nach oben nicht)
  • Dankbarkeit
  • Das Gute oder die Entwicklungsschance in einem Verlust oder etwas Schlechtem zu sehen, das mir passiert 
  • gute Beziehungen zu anderen Menschen

Hier geht es sowohl um Mechanismen, wie ich mit schlechten Begebenheiten umgehen kann, als auch um das Gute im Leben. Fred B. Bryant und Joseph Veroff erforschen in ihrem Buch „Savoring – A New Model of Positive Experience“ die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu sein und das Leben zu genießen und setzen somit den Copingstrategien, die sich mit dem reinen Überleben beschäftigen, eine positive Psychologie entgegen.                                                                                    

  • Wie nehme ich einen schönen Moment wahr und konserviere ihn bewusst?
  • Wie lerne ich, ein mir innewohnendes Gefühl mit innerem Gewahrsein zu betrachten?
  • Was kann ich tun, um mich gut zu fühlen?                                                                                             
  • Wie betrachte ich aus dem Moment heraus meine Vergangenheit und Zukunft? 
  • Mit wem kann ich meine positiven Erfahrungen teilen und dadurch multiplizieren?                

Sie fanden jedoch bei ihrer Forschung einen Spielverderber schöner Momente oder Erinnerungen, den ich das negative Gedankenkarussell nenne. Depressive Verstimmungen und ein geringes Selbstwertgefühl sind bei solchen Denkmustern häufig mitgebucht:

  • Ich erzähle mir, warum ich das Gute nicht verdient habe
  • Ich freue mich nicht und überlege, wie es noch besser hätte sein können
  • Ich verschließe mich innerlich und gehe so aus der Situation
  • Ich rede mir ein, dass ich nicht so gut bin, wie ich gehofft hatte
  • Ich denke an all die Dinge, die ich erledigen müsste und/oder all die Orte, an denen ich jetzt eher sein sollte
  • Ich denke an aufgeschobene Probleme und Sorgen, mit denen ich mich längst hätte auseinandersetzen müssen
  • Ich denke an etwas, das mich Schuld fühlen lässt     

Im Positiven kristallisierten sich verschiedene Verlaufsformen des Genießens heraus, die sich auf das Innenleben oder die Außenwelt, auf die Gedanken oder den Grad der Versunkenheit (experiential absorption) beziehen können:

  • Dankbarkeit ausdrücken (kognitiver Vorgang, auf die Außenwelt bezogen)
  • Staunen (z.B. über ein Naturereignis im Außen, von dem ich völlig absorbiert bin)
  • in Stolz/Erfolg baden (kognitiver Vorgang, auf die Innenwelt bezogen)
  • in Genuss schwelgen (sich selbst etwas Gutes tun, z.B. ein Bad einlassen, und darin versinken)
  • Zugehörigkeit fühlen (zu einer Gruppe)     

Neun von ihnen aufgezeigte positive Wege, das Leben zu genießen, sind

  • das Teilen und der Austausch mit anderen
  • der bewusste Aufbau und die Speicherung von Erinnerungen (z.B. durch Innehalten)
  • die Fähigkeit, sich selbst zu gratulieren und schöne Momente zu feiern
  • das Schärfen der sinnlichen Wahrnehmung (z.B. durch Fokussieren)
  • das Vergleichen mit anderen schönen Situationen
  • das Aufgehen/Versinken im Moment
  • das Zeigen und körperliche Ausleben von positiven Emotionen
  • das Bewusstsein einer besonderen Zeitqualität (z.B. „Das passiert mir nur einmal im Leben!“)
  • Dankbarkeit – als Fähigkeit, das Gute im Leben zu sehen (counting blessings)

Wie kann ich eine positive Erwartungshaltung gewinnen?                         

Eng verbunden mit der Fähigkeit, das Gute zu sehen und zu feiern, sich darüber mit anderen auszutauschen ist die eigene Erwartungshaltung in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit, dass mir solche guten Dinge überhaupt passieren. Wie viel gefühlte Kontrolle besitze ich über mein Leben?  Wie deckungsgleich ist dieses Gefühl mit meiner wahren Macht, die ich über meinen persönlichen Spielraum habe? Je mehr ich an das Gute in meinem Leben glaube, desto häufiger werde ich gute Momente erleben.
                                                                                                     
Effektive Wege, um das Leben mehr zu genießen, sind nach Bryant und Veroff

  • Unterstützung durch andere
  • Kreatives Schreiben (über meine Erfahrungen)
  • Imagination (positiver Ausgänge)
  • Humor
  • Spiritualität/Religion
  • Entwicklungsorientierung (die Erkenntnis, dass auch negative Dinge vorbeigehen)

Mögliche Wege, aus dem Gedankenkarussell auszusteigen

So weit die Theorie.

Ich fasse zusammen, was ich daraus ableite:

  • In den Körper hineinzuspüren ist der einfachste Zugang, um mich auf allen Ebenen zu verändern.
     
  • Die emotionale Ebene kann mir zur Aufgabenstellung dienen. Indem ich wahrnehme, welche Gefühle mich triggern, weiß ich, an welcher Stelle ich ansetzen kann, um das Gedankenkarussell bewusst anzuhalten.
                                                                                                         
  • Auf der Ebene des Denkens kann ich die inneren Glaubenssätze anschauen, die mein Gedankenkarussell befeuern – und sie durch andere, stimmigere ersetzen.
          
  • Auf der Ebene des Ich-Bewusstseins geht es darum, konkret das gezeigte Verhalten zu ändern. Hier sehe ich insbesondere der Austausch mit anderen angesprochen, meine Art zu kommunizieren.
         
  • Um destruktive innere Stimmen abzustellen, scheint es hilfreich zu sein, diese Stimmen direkt zu Wort kommen zu lassen und einen Inneren Zeugen zu etablieren. Das wäre dann die kognitive Metaebene, mit Hilfe der Sprache.

Das Wissen um eine Problematik kann allein noch nichts zur Lösung beitragen. Im Gegenteil: „Wir benutzen Worte oft, um nichts zu ändern“, stellte bereits Alexander Lowen fest. Also stelle ich im Anschluss eine kleine Auswahl meiner Lieblingsübungen vor und lade ein, einfach mal mit einer, die spontan sympathisch wirkt, anzufangen. Dawna Markova stellt in „Die Versöhnung mit dem Inneren Feind“ deutlich, wie individuell die Lösungs- und Heilungswege sind und dass es nicht um programmierte Lösungen gehen kann. Daher ordne ich sie den verschiedenen Zugangsebenen zu.

Körperorientierte Lösungshilfen

Wichtig ist bei allen körperorientierten Methoden, dass ich nichts an mir verändern will oder muss. Ich beobachte und nehme wahr. Ich spüre. Ich bringe mich ohne etwas zu bewerten ins Hier und Jetzt. Mehr braucht es nicht.

  • Meditation – in der ich den inneren Dialog so unbeteiligt wie möglich einfach nur betrachte

Yoga – und alles, was mich in die Atmung bringt

Bodyscan. Zum Beispiel diesen hier:

  • Problemhaltung – Lösungshaltung.

Olaf Jacobsen zitiert in „Ich stehe nicht mehr zur Verfügung“ diese Übung von Klaus Mücke.

Ausgehend von einem Problem nehme ich eine dazu passende Körperhaltung ein und atme bewusst hinein. Dabei beobachte die Gedanken, die in mir auftauchen.

Ich stelle mir nun vor, wie es sich anfühlen würde, wenn mein Problem wie durch ein Wunder gelöst wäre und nehme eine neue Körperhaltung ein, die diese Lösung ausdrückt. In der neuen Körperhaltung lerne ich die freie, tiefe Atmung und neue angenehme innere Sätze kennen.

Ich wechsele immer wieder langsam zurück von der einen Haltung in die andere. Ich trainiere den Bewegungsablauf und speichere ihn in meinem Körper ab.

Wenn das Problem im Alltag irgendwann wieder auftaucht, kann ich mich leichter an die Lösung erinnern und in die Lösungshaltung wechseln.

Gefühlsorientierte Lösungshilfen

Diese Methoden sind die machtvollsten Instrumente, die ich kenne, und ich nutze sie regelmäßig. Damit kann ich negative Gefühle und Gedanken transformieren und gleichzeitig meine Beziehungen zu den betreffenden Konfliktpartnern verbessern.

  • Körperzentrierte Herzensarbeit nach Safi Nidiaye

Hier folgt eine Kurzversion:

Über einen Konflikt oder ein Symptom mithilfe wahrnehmendem meditativen Atmen werde ich behutsam in Kontakt mit der Stelle in meinem Körper gebracht, in der sich das Ausgangsproblem manifestiert.

Dadurch erscheint das darunterliegende Gefühl. In dieses atme ich weiter hinein und lasse es zu, nehme es an.

Schließlich öffne ich mein Herz für dieses Gefühl, indem ich es frage, was es von mir braucht: Wahrgenommen werden, die Erlaubnis, dazusein, Anerkennung, Verständnis, Mitgefühl, Erbarmen, Achtung, Raum, als Gefühl und nicht als Tatsache wahrgenommen zu werden, gefühlt werden etc.

Anschließend frage ich es, was es als nächsten Schritt von mir benötigt – und führe diesen Wunsch in der Folgezeit immer wieder aus, bis es sich gut anfühlt.

Sehr hilfreich für empathische Hochsensitive, ist, dass es auch eine Möglichkeit gibt, Fremdgefühle wahrzunehmen und der betreffenden Person zurückzugeben.

  • 3-2-1- Schattenprozess nach Ken Wilber

Es ist eine Schreibübung aus dem Buch „Integrale Lebenspraxis“.

Auch hier beginne ich mit einer Person, die ich anziehend oder abstoßend finde, einem Traumbild oder einer Körperempfindung. Es geht dabei darum, meinen Schatten zu erkennen, meinen persönlichen Anteil an den Gefühlen, die etwas oder jemand triggert, und ihn zu integrieren.

3 – sich damit konfrontieren                                                                                   
Ich beschreibe das Problem und die Gefühle, die es in mir auslöst, in schillernden Farben und benutze dabei die dritte Person: Er, sie oder es regt mich maßlos auf, weil…

2 – damit sprechen
Ich spreche mein Problemobjekt in der zweiten Person mit Du an und stelle Fragen wie  „Wer/was bist du? Woher kommst du? Was willst du von mir? Was musst du mir sagen? Welches Geschenk hältst du für mich bereit?“ Dann formuliere ich eine spontane Antwort und lasse mich überraschen von den Dingen, die bei diesem Dialog herauskommen.

1 – es sein
In der ersten Person als Ich sehe und beschreibe ich die Welt, einschließlich meiner selbst, ganz aus der Perspektive dieser Störung, und erlaube mir zu spüren, dass ich wirklich ein- und der-/die-/dasselbe bin. Das fühlt sich natürlich fast immer ziemlich disharmonisch oder „falsch“ an, enthält zumindest einen wahren Kern. Schließlich erkenne ich meinen bislang unterdrückten, verleugneten und nicht gelebten Schatten. Ich verbinde mich mit ihm und integriere ihn.

Teilnehmer meines Minikurses in Selbstzertifizierung kommen in den Genuss, sich eingehender mit diesem Prozess zu beschäftigen.

Gedankenverändernde Lösungshilfen

Methoden dieser Ebene zeigen mir einen Weg in die Selbstwirksamkeit und geben mir die Kontrolle über meine Gedanken und Gefühle zurück: Die Lösung des Problems liegt immer in mir.

  • Achtsamkeit
  • The Work nach Byron Katie

Es gibt unzählige abgewandelte Formen dieser Intervention auf Gedankenebene. Diese habe ich „Eintausend Namen für Freude“ entnommen.

Ich schreibe wieder auf, was mich an der Person, mit der ich ein Problem habe, ärgert:

1. Wer macht mich ärgerlich, traurig oder enttäuscht mich und weshalb? Was mag ich an dieser Person nicht?                     

2. Was will ich von ihr? Wie soll die Person sich für mich ändern?

3. Was genau soll die Person denken oder fühlen, was soll sie für mich tun oder lassen? Wie sollte er/sie sein? Welchen Rat würde ich ihr gern geben?

4. Brauche ich etwas von der Person? Was sollte er/sie für mich tun, damit ich glücklich bin?

5. Was denke ich über sie? Ich zähle es kleinlich und streng auf.

6. Was will ich mit dieser Person nie wieder erleben?

Und jetzt kann ich diesen Erguss mit folgenden Fragen überprüfen:

1. Stimmt das?

2. Kann ich absolut sicher wissen, dass das stimmt?

3. Wie reagiere ich auf diesen Gedanken?    

4. Wer oder was wäre ich ohne diesen Gedanken? Und nun kehre ich diesen Gedanken um.
Auch hier kehre ich nun alle Sätze, die ich über meinen Konfliktpartner geschrieben habe, so um, dass ich das er oder sie durch ein Ich ersetze. Oder ich behaupte einfach das Gegenteil. Es geht darum, kreative Alternativen zu meiner ursprünglichen Realität zu finden, die mir aufzeigen, dass ich mich jederzeit entscheiden kann, etwas anderes zu denken.

  • Dankbarkeit

Das muss nicht mehr heißen, als dass ich mir abends drei Dinge aufschreibe, die mir heute gelungen sind, über die ich mich gefreut habe. Schön wäre noch, wenn ich mir dazu ins Gedächtnis rufen kann, was ich aktiv zu diesen schönen Momenten beigetragen habe.

  • Affirmationen     

Derartige Bejahungen, Bekräftigungen drücken etwas, das ich mir wünsche, so aus, als wäre es jetzt schon geschehen. Sie sind immer positiv formuliert. Je kürzer sie sind, desto besser. Sie müssen zu mir passen. Sie haben nicht die Absicht, das das Alte zu verändern, sie nehmen die bestehende Situation an, anstatt gegen sie zu kämpfen. Sie lassen Neues entstehen. Ein empfehlenswertes Buch dazu ist „Stell dir vor – kreativ visualisieren“ von Shakti Gawain. Sie hat mich durch folgende Übung schließlich überzeugt, dass ich mit Affirmationen – nachdem ich z.B. mit denen nach Louise L.Hay nie viel anfangen konnte – tatsächlich arbeiten kann.

Ich wähle eine Affirmation aus und schreibe sie 10-20mal hintereinander auf, wobei ich meinen Namen einsetze und jeweils in der ersten, zweiten und dritten Person den gleichen Satz formuliere. „Ich, Britta, bin ein begnadeter Coach. Britta, du bist ein begnadeter Coach. Britta ist ein begnadeter Coach.“

Dabei achte ich auf Widerstand, der sich in mir rührt, auf zweifelnde Gedanken oder Begründungen, warum die Aussagen nicht stimmen können. Sobald ein solcher hinderlicher Satz erscheint, schreibe ich ihn auf die Rückseite und mache dann weiter mit der Affirmation, bis das nächste Gegenargument erscheint.

Wenn ich ehrlich zu mir war, kann ich in meinen festgehaltenen negativen Gedanken die Glaubenssätze erkennen, die mich davon abhalten, zu haben, was ich erreichen möchte.

Im nächsten Schritt setze ich diesen negativen Äußerungen wieder positive Affirmationen entgegen. Oder ich ändere die ursprüngliche etwas ab, damit sie sich passender für mich anfühlt.

Das mache ich in der Folgezeit immer wieder, bis die negativen Programme mir komplett bewusst geworden sind und keine neuen mehr auftauchen. Dann kann ich mit der Affirmation an sich weiterarbeiten – die nun ihre volle Wirkung entfalten dürfte.

  • Sich in einen Steinkreis aus Pietersit legen

Ich habe mich in meinem ersten Jahr an der Heilpraktikerinnenschule „Alchemilla“ im Rahmen meiner Heilerausbildung in einen solchen Steinkreis legen dürfen. Die Art, in der meine Gedanken zur Ruhe kamen, war für mich so bahnbrechend, dass ich mir danach gleich eine Handvoll Trommelsteine aus Pietersit gekauft habe, die mit meinen Bergkristallen zusammen einen Kreis bilden, der sogar im Liegen groß genug für mich ist. Wer sich angesprochen fühlt, den lade ich gern dazu ein, das mal auszuprobieren.

  • Bewusst entgegensteuern

Als ich das Internet fragte, nannte jemand die Idee, einfach Matheaufgaben im Kopf zu rechnen, um den Verstand anders zu beschäftigen. Oder aus dem, was einem an den Kopf geworfen wurde, das Gegenteil zu machen: ein Kompliment. Jemand schlug das 60 Sekunden-Lächeln von Vera Birkenbihl  vor – einfach so tun, als ob! Die Liste ist sicherlich weiterzuführen.                                                                      

Bewusst verhaltensändernde Lösungshilfen

Diese Methoden setzen voraus, dass ich nicht erwarte, dass mein Gegenüber mich rettet oder meine Bedingungen zuerst erfüllt. Ich löse mich bewusst aus der Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Wertlosigkeit. Hier bin ich die Handelnde, die aktiv wird und einen Schritt auf den anderen zugeht. Oft geht es darum, den Dialog miteinander (wieder) zu eröffnen. 

  • Energie übersenden

Wenn ich in einem Konflikt stecke, stelle ich mir aktiv vor, wie ich mich mit Licht oder Energie oder was auch immer ich gerade brauche, auffülle, sowohl von der Erdmitte als auch aus dem Himmel kommend, und dann sende ich der betreffenden Person – je nachdem, wie nah oder wichtig sie mir ist – über meinen Solarplexus oder aus meinem Herzen die Wärme, Liebe, Farbe, Kraft, was auch immer, von der ich erahne, dass sie es brauchen könnte.

  • Wertschätzende Kommunikation

Der Liebesforscher John M. Gottman erzählt in seinem Buch „Die 7 Geheimnisse einer glücklichen Ehe“, wie er nach fünf Minuten Beratungsgespräch vorhersagen kann, ob das vor ihm sitzende Paar sich scheiden lassen wird oder nicht. Die sogenannten apokalyptischen Reiter, an denen er sich unter anderem orientiert sind das Äußern von Kritik als Beschwerde, der Ausdruck von Verachtung, die Rechtfertigungshaltung und das Abbrechen des Dialogs durch Mauern.

Dabei gibt es klare Grundregeln in der Kommunikation mit anderen. Eine gute Quelle bietet Thomas Gordon. Anstatt also unqualifiziert eine Beschwerde rauszuhauen, wenn ich ein Problem habe oder mir etwas vom anderen wünsche, setze ich eine gezielte Ich-Botschaft.

Es gibt vier Formen von Ich-Botschaften:

1. deklarierende Ich-Botschaften, mit denen ich sachlich offenbare, wie es in mir aussieht und was mir wichtig ist.

2. reagierende Ich-Botschaften, die dem anderen eindeutig und ehrlich mitteilen, was ich von der Aufforderung, Erwartung oder Bitte halte, die an mich herangetragen wurde.

3. vorbeugende Ich-Botschaften, mit denen ich vorausschauend auf meine Zukunft Bezug nehme und meine Wünsche, Bedürfnisse und Absichten mitteile.        

4. konfrontierende Ich-Botschaften, mit denen ich mich auf ein einschränkendes, verhinderndes, frustrierendes oder verletzendes Verhalten des Gegenübers ehrlich und echt in meiner Befindlichkeit zeige und verdeutliche, welches nicht-akzeptable Verhalten welche Gefühle und Gedanken in mir ausgelöst hat. Sie zeigen den Anderen als Auslöser für die Situation, beschuldigen ihn jedoch nicht.

Viel wichtiger jedoch als über mich zu reden ist es, dem anderen zuzuhören. Das aktive Zuhören setze ich ein, wenn ich den Eindruck habe, dass meinem Gesprächspartner etwas auf der Seele liegt. 

Es wirkt auf drei Ebenen.

1. Ich signalisiere mein Zuhören durch Blickkontakt, meinen Gesichtsausdruck und die entsprechende Körperhaltung und Gestik.

2. Ich überprüfe, ob ich meinen Gesprächspartner richtig verstanden habe, indem ich gezielt nachfrage, mit eigenen Worten das Verstandene wiederhole und zusammenfasse.

3. Ich setze mich in den anderen hinein und spreche die Gefühle an, von denen ich meine, sie zu spüren. Ich höre seine Wünsche heraus. Typischerweise setze ich hier eine Du-Botschaft.

Dies sind nur die absoluten Grundlagen, es lohnt sich in jedem Falle, sich mit gewaltfreier Kommunikation nach Marshall Rosenberg auseinanderzusetzen. Wertschätzende Kommunikation kann nur einer Haltung der Wertschätzung entspringen und nicht methodisch erlernt werden.                                                                                                                                   

Lösungshilfen auf der Metaebene

Hier geht es um den Adlerblick auf sich selbst. Der mir jedoch nur wenig hilft, wenn ich ihn nicht wieder in die Tiefe bringe und die Ebenen des Bewusstsein, Denken, der Emotionen und des Körpers miteinander integriere. Viele dieser Methoden sehe ich eben deshalb auf der Metaebene angesiedelt, weil sie die unteren Ebenen gekonnt miteinander verbinden.

  • Der Weg des Künstlers

Als Kunstenthusiastin und Arts and Change-Coach muss ich natürlich alle Methoden, die in die Kreativität und den persönlichen Ausdruck mit künstlerischen Medien führen, voranstellen. Das gleichnamige Buch von Julia Cameron möchte ich als machtvolles, lebendiges Selbstfindungstool ebenfalls stark empfehlen. 

  • Zürcher Ressourcenmodell

Es gibt unzählige Variationsmöglichkeiten. Hier wird mit Ressourcen gearbeitet, indem z.B. anhand eines konkreten Veränderungswunsches oder unbewusst mithilfe eines schönen Bildes positive Begriffe gesammelt werden.

Anhand der auftretenden somatischen Marker wird eine Auswahl getroffen, aus der dann später eine Zieldefinition (eine Affirmation) dessen entsteht, was ich erreichen möchte.

Erinnerungshilfen werden anhand von Symbolen und durch eine passende körperliche Bewegung verankert.

Um den Transfer ins Leben zu sichern, wird konkret ausgearbeitet, in welchen möglichen Verhaltensweisen sich der Wunsch ausdrücken könnte.  

  • Die Arbeit mit den Inneren Stimmen

Dies ist bei weitem mein Lieblingsansatz. Es gibt ihn in vielfältigster Art und Weise. Mein erster Zugang war Artho Wittemanns „Individualsystemik“. Er beschreibt fünf Dimensionen innerer Persönlichkeiten: Mann, Frau, Kind, Tier, Gott.

Ich lasse eine innere Stimme zu Wort kommen und stelle mir vor, wo im Raum sie sich aufstellen würde. Dann nehme ich diese Position ein und bin in Kontakt mit dieser inneren Stimme. Ich atme und fühle mich ganz in sie hinein. Von da an sehe ich weiter.

Häufig führe ich auch Schreibdialoge mit meinen inneren Stimmen. Ich stelle eine Frage und etwas in mir antwortet. Es ist es eine deutlich andere Handschrift.

Ebenso habe ich eine imaginativen Zugang zu meinen inneren Personen, indem ich eine Traumreise an meinen inneren Rückzugsort mache (es ist immer der gleiche Weg zu immer dem gleichen Haus am immer gleichen Strand). Dort treffe ich mich innerlich am Lagerfeuer mit einer inneren Stimme. Das Gute an den Visualisierungen persönlicher Treffen mit Inneren Stimmen ist, dass man beim Abschied ein symbolisches Geschenk erhält, das man in sein Leben mitnehmen kann.
     
Hal und Sidra Stone haben viele Bücher über die Arbeit mit den inneren Stimmen geschrieben, z.B. „Du bist richtig – Mit der Voice Dialogue Methode den inneren Kritiker zum Freund gewinnen“. Sie beschäftigen sich auch insbesondere mit dem Inneren Patriarch und der Inneren Matriarchin.

Sie führen über die kritischen Stimmen zum Inneren Kind und etablieren eine verantwortungsvolle Elternrolle. Oftmals hilft es, diesen verlassenen und verlorenen inneren kindlichen Anteil virtuell in den Arm zu nehmen. Wenn er sich gesehen fühlt, seine Bedenken angenommen werden, lässt es sich leichter einen Schritt in eine aus Sicht des Kindes vermeintliche Bedrohung gehen. Dann gehen wir diesen Schritt gemeinsam.

Schulz von Thun nennt diesen Ansatz das „Innere Team“. Diese Innere Pluralität wird zu einer „Inneren Ratsversammlung“ in die Zusammenarbeit gebracht. Häufig werden die inneren Stimmen anhand eines sie beschreibenden markanten Satzes zusammen visualisiert.

  • Zeugen-Bewusstsein

Die meisten Ansätze dienten dazu, meine Bewertung der Gegebenheiten loszulassen und eine Gelassenheit und Offenheit für das Leben aufzubauen. Mich nicht mehr zu identifizieren mit meinem Problem im Außen und zu erkennen, dass die Lösung in mir bereits immer da war.

Ken Wilber et al. beschreiben in der Integralen Lebenspraxis den stillen und ruhigen Zeugen als das, was immer da ist, unwandelbar und unsterblich – das universelle Selbst, das immer richtig ist. Sie führen in eine Meditation, in der das innere Gewahrsein auf die Zeit vor 5 Minuten, fünf Stunden, fünf Jahren, 500 Jahren und 5000 Jahren im Fokus steht. Das gibt doch mal eine erfrischende Perspektive, in der ich mich selbst, meine Gedanken und Gefühle, nicht mehr ganz so furchtbar wichtig nehme.

  • Autopsychotherapie nach Kazimierz Dabrowski

Allein das Wort klingt wie Musik in meinen Ohren. Meine Begeisterung für Dabrowskis Theorie der positiven Desintegration ist bekannt. Auch wenn ich denke, dass unsere Herausforderungen, Krisen und Konflikte ein wunderbares Feld bieten, in dem wir unser persönliches Wachstum vorantreiben können – und ich das gern als Psychotherapie an mir selbst betrachte – so ist dem natürlich auch eine Grenze gesetzt, wenn ich z.B. das Gefühl habe, mich in bestimmten Situationen nicht von allein aus meinem negativen Gedankenkarussell befreien zu können. Daraus ergibt sich mein schließlich allerletzter, voranbringender Vorschlag zur Lösung:

  • Therapie
  • Selbstzertifizierung

Kleiner Scherz – hat bei mir allerdings wirklich Wunder bewirkt. Daher lade ich gern dazu ein. Der fünfteilige Minikurs, den ich erstellt habe und per Mail versende, ist kostenlos.

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… und, letzter Punkt, außerdem brachte meine offensichtliche Begeisterung für dieses Thema mich dazu, zu erkennen, dass ich in diesem Bereich auch mal ein Angebot formulieren sollte. Hier unten sind also aktuelle Angebote verlinkt. Online natürlich.

Schnellanleitung für einen positiven Blick

Wertschätzende Gespräche über Kinder führen

Wenn es um das Thema Gesprächsführung geht, kommt man meines Erachtens um das Reframing nicht herum. Um den Blickwinkel einer tendentiell negativen Äußerung in eine wertschätzendere, lösungs- und ressourcenorientierte Richtung zu schubsen, können wir die positive Umdeutung sinnvoll einsetzen,

Ich bin beim Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung mal über eine Liste von Zuschreibungen gestolpert, die insbesondere Kindern galt, die ein bisschen mehr auf dem Kasten haben als andere – und dementsprechend fordernd auf das Nervenkostüm ihrer Eltern, Großeltern, Erzieher und Lehrer wirken können. Allerdings haben alle Kinder es verdient, dass man ihnen einen kleinen Vertrauensvorschuss gibt. Schließlich wollen sie niemanden bewusst ärgern, sondern sind nun mal so, wie sie sind.

Hier kommt nun eine kleine Starthilfe, für alle, die ihre Einstellung zu ihren Kindern und ihre Kommunikation nach Außen mit einem Schuss positivem Denken würzen möchten. Das gilt natürlich umgekehrt und gleichermaßen für alle wohlwollenden Pädagogen, die ihre Anvertrauten gegenüber deren verzweifelten Eltern verteidigen möchten!

Sie ist immer so neugierig. Überall steckt sie ihre Nase rein!

Wer so etwas über seine Tochter hört, kann den Sprecher darauf hinweisen, dass das Mädchen Neugierde zeigt und überall nach Bedeutung und Sinn sucht. Sie ist wissensdurstig, wissbegierig, interessiert, allinteressiert, motiviert, aufgeweckt, wachsam und saugt auf wie ein Schwamm. Dazu ist sie weltoffen, erkundungsfreudig und explorativ. Außerdem kann sie gut beobachten und zuhören!

Er ist furchtbar hartnäckig!

Im Gegenteil! Er ist Intrinsisch motiviert, ausdauernd, standhaltend, standhaft, er bleibt dran, ist konsequent, beständig, beharrlich, geduldig. Er gibt nicht auf. Er führt Aufgaben tatsächlich bis zum Schluss, hat eine hohe Frustrationstoleranz, ist bestimmt, willensstark, durchsetzungsstark, zielstrebig und vertritt seine Meinung. Basta.

Sie strengt sich einfach nicht an!

Warum auch? Sie erwirbt schließlich Informationen leicht und schnell, es fällt ihr förmlich zu, sie kann es ja schon. Sie fühlt sich nicht wirklich gefordert, sucht erst einmal nach dem Sinn dahinter. Sie geht den effektiven Weg. Oder sie hat einfach andere Interessen. Vom Typ her ist sie ruhig, entspannt, gelassen, zurückhaltend, abwartend, zufrieden. Sie macht sich keinen Druck, ist in sich ruhend, im Ruhemodus – sozusagen Wellnessexpertin. „Hängematte“ ist ihr Lebensmotto. Noch dazu ist sie kreativ und kann wirklich gut delegieren.

Er macht mich wahnsinnig, weil er alles hinterfragt!

Man könnte auch sagen, er löst sehr gern Probleme und ist fähig, Konzepte und Synthesen aufzustellen und zu abstrahieren. Er bildet sich seine eigene Meinung. Er nimmt die Dinge nicht einfach so als gegeben hin, er möchte sichergehen, fragt aktiv nach dem Sinn dahinter, ist generell interessiert, wissbegierig, kritisch. Er will definitiv lernen, geht den Sachen auf den Grund, ist offen, aufgeschlossen, aufgeweckt und selbstbewusst.

Sie hört nicht auf Verbote, sie muss alles ausprobieren!

Sie sucht nämlich intensiv nach Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung! Sie möchte, nein muss wissen, wie es sich anfühlt, wie es funktioniert. Sie verlangt Beweise: Es könnt ja auch ganz anders sein! Es wird deutlich, dass sie lernen will und unglaublich wissbegierig, informationsfreudig sowie vielseitig interessiert ist. Darüber hinaus ist sie extrem mutig und experimentierfreudig. Sie hat Forscherdrang, wird bestimmt auch mal Forscherin, denn sie ist offen für Neues und hoch motiviert.

Ich kann nicht mehr – er gibt keine Ruhe!

Er mag keine Unklarheiten und Unlogik, deshalb fragt er immer weiter. Oder ihm fehlt der Sinn, er sucht nach dem Grund, es fehlt ihm noch ein Puzzlestück, um sich das Gesamte zu erschließen. Fest steht jedenfalls, dass er kommunikativ ist und immer was zu sagen hat. Er vertritt seinen Standpunkt. Er erzählt gern, hat Ausdauer, bleibt am Ball, ist aufgeweckt, voller Tatendrang, bewegungsfreudig, hat viel Energie. Er ist unermüdlich, konsequent, zielstrebig.

Sie ist immer so direkt und undiplomatisch. Sie macht sich keine Freunde!

Das liegt ganz klar daran, dass sie ohne Falsch ist: Sie betont Wahrheit, Gleichheit und Fairness, ist offen, ehrlich, klar und deutlich. Spontan und aus dem Bauch heraus sagt sie, was sie denkt. Ohne Umschweife, unverblümt. Sie weiß genau, was sie will, kommt schnell auf den Punkt, ist emotional. Dabei achtet sie gut auf sich, äußert ihre eigenen Bedürfnisse und vertritt ihre Interessen. Sie hat keine Angst vor Konfrontationen.

Er hinterfragt Grundsätzliches!

Na klar, er hat nämlich Großes vor: Er möchte die Welt verändern – und zwar zum Besseren! Er sorgt sich sehr um humanitäre Bedingungen und setzt sich mit den Regeln der Welt auseinander. Er tauscht sich gern aus. Er möchte lernen, ist interessiert, wissbegierig, selbstbewusst und hat seinen eigenen Kopf. Er möchte wirklich verstehen. Vielleicht  sucht er auch einfach nach Sicherheit und Schutz.

Sie will alles bestimmen!

Oder so: Sie möchte Dinge und Menschen organisieren, denn sie weiß, wo es langgeht. Sie hat viele eigene Ideen und kann dafür auch Verantwortung übernehmen. Bestimmt wird sie mal Chef. Auf jeden Fall zeigt sie enorme Führungsqualität. Sie geht planerisch vor, ist strukturiert, kann sich behaupten, ist durchsetzungsfähig, durchsetzungsstark, selbstbewusst, kommunikativ, meinungsbildend – und dabei kreativ. Willkommen im 21. Jahrhundert! 

Er verkompliziert immer alles!

Nein, er konstruiert lediglich komplizierte Regeln, denn er ist in der Lage, komplexe Sachverhalte zu erkennen und zu analysieren. Er konstruiert umfangreiche Inhalte. Er plant, plant langfristig, plant weit voraus. Er denkt größer und schaut über seinen Tellerrand hinaus. Dazu kann er um Ecken denken, ist vorsichtig und verhalten. Er nimmt sich die Zeit, die er braucht. Er ist selbst sehr komplex.

Sie ist schrecklich altklug. Ständig hängt sie bei den Erwachsenen rum!

Durch ihr großes aktives Vokabular ist sie sprachlich sehr weit, ist sprachbegabt, redegewandt und mitteilungsfreudig. Mit Gleichaltrigen kann sie nicht so viel anfangen. Sie kann gut erklären, verfügt über viele Informationen, die ihrem Alter voraus sind, wirkt weise, klug, schlau, originell. Sie weiß einfach viel, ist interessiert und macht sich zu allem Gedanken.

Egal, was ich ihm anbiete, er ist immer unzufrieden!

Er setzt hohe Erwartungen an sich selbst und andere, ist anspruchsvoll, strebt nach mehr, hat generell ein hohes Perfektionsstreben. Er ist kritisch und überlegt genau. Er setzt sich stetig neue Ziele – da bleiben Erwartungen auch mal unerfüllt. Aber er ist konzentriert. Vielleicht ist er einfach nicht ausgelastet, oder er braucht noch Zeit zum Ankommen.

Sie ist ein echter Querkopf – immer gegenan!

Sie ist phantasievoll, kreativ und erfinderisch, geht neue Wege. Eine Querdenkerin, die um Ecken denken kann. Sie denkt ganz viel nach, hat eigene Ideen, vertritt ihre eigene Meinung, probiert sich aus. Sie zeigt einen aktiven Denkprozess, ist durchsetzungsfähig und selbstbewusst, weiß, was sie will. Vielleicht ist sie nicht ganz so gut geerdet…

Er ist schrecklich stur!

Er kann sich äußerst intensiv konzentrieren, lässt sich von seinen Interessen nicht ablenken, ist ausdauernd, konsequent, gradlinig, standhaft, beharrlich, willensstark, selbstbewusst. Er kann seine eigene Meinung vertreten, Wünsche und Ziele äußern, ist individuell, weiß, was er will. Außerdem bleibt er bei dem, was er sich vorgenommen hat und zeigt deutliches Durchhaltevermögen.

Sie ist bestimmt hyperaktiv!

Ganz bestimmt nicht! Nur weil sie energiegeladen, wach, voll Energie, lebendig, motiviert ist? Sie zeigt eine motorische Begabung und gute Körperbeherrschung, ist sportlich, bewegungsfreudig, aktiv, immer unterwegs, geradezu agil. Sie ist immer voll bei der Sache. Sie setzt einfach alles, was ihr im Kopf herumspukt, gleich in Bewegung um. Sie ist sinnesoffen, aufgeweckt – und ausdauernd.

Er wirkt irgendwie etwas oberflächlich!

Das wirkt vielleicht nur so! Ich dachte auch mal, dass mein Sohn sich nicht für das Deutsche Museum in München interessiert hätte, weil er so schnell durch die Räume spaziert war, ohne sich etwas gezielt anzugucken. Aber zu Hause kam die Überraschung, als er minutiös die Exponate beschrieb, die ihn wohl doch fasziniert hatten. Er verarbeitet Sinnesreize also unglaublich schnell. Er organisiert sich selbst. Außerdem hat er sehr unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten, ist vielseitig. Er sieht die schönen Dinge, ist unkompliziert, geht steil nach vorn, nimmt das Leben leicht, lebt in Gelassenheit und mit Leichtigkeit. Oder er sieht einfach alles etwas sachlicher.

Warum ist sie bloß so eigensinnig?

Sie ist unabhängig, zieht individuelle Arbeit vor und hat dabei eine hohe Eigensteuerung. Sie arbeitet effektiv, ergebnisorientiert und wünscht sich, schnell zum Ziel zu kommen. Sie hat ihre eigene Denkweise, ist kreativ, ist individuell, einfach ein Charakter. Gleichzeitig ist sie auf sich bezogen und selbstbesonnen. Sie scheint niemand anderen zu brauchen, genügt sich selbst, ist willensstark, selbstbewusst und verfolgt eigene Ziele. Dabei achtet sie gut auf sich und kann für sich selbst sorgen.

Er ist unfassbar frech!

Das kommt von seinem starken Sinn für Humor. Er ist nämlich ein „kleiner Michel“, ist erfrischend, lebensfroh, phantasievoll, wortgewandt, wortstark, schlagfertig. Verhaltensoriginell eben – und dabei sehr charmant! Er zeigt sich mutig, selbstbewusst, keck, herausfordernd – und er hat seine eigene Meinung. Zudem weiß er sich zu rechtfertigen, seinen Standpunkt deutlich zu machen. Auf jeden Fall kann er sein Gegenüber gut einschätzen. Er probiert sich aus, testet aus, lotet Grenzen aus. Einfach nur cool!

Und nun wünsche ich viel Spaß beim Neuformulieren mit dem positiven Blick!

PS: Ich danke allen Teilnehmern meiner Seminare „Vom Elterngespräch zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft“ und des DGhK-Gesprächskreises „Hochbegabung und Hochsensitivität“ für ihre zahlreichen Ideen.

Wie Hochsensitivität zu persönlichem Wachstum verhilft

Vor einigen Jahren wurde ich durch die Beschäftigung mit J.T. Webbs „Hochbegabte Kinder – Das große Handbuch für Eltern“ auf Kazimierz Dabrowskis Forschungen aufmerksam gemacht. Damals ging es für mich als Teilnehmerin eines Elterntrainings bei Suzana Zirbes-Domke darum, passende Unterstützung in der sozial-emotionalen Entwicklung hochbegabter Kinder leisten zu können, die sich häufig durch eine besondere Hochsensitivität, eine schnellere, gründlichere und feinere Verarbeitung der Sinneswahrnehmung, auszeichnen. Die Betroffenen haben ein sehr hohes Empfindungsvermögen, können ihre tief empfundenen Gefühle im ebenso extremen Ausmaß äußern – und durch ihre Intensität sehr anecken und missverstanden werden.

Neu war für mich, dass Dabrowski diese Ausprägungen in fünf Bereiche einteilt, in die psychomotorische, sensorische, intellektuelle, imaginative und emotionale Hochsensitivität (im Original: Overexcitability – welches aber eine nur unzureichende Übersetzung aus dem Polnischen darstellen soll). Dabrowski beschreibt, dass es um erhöhte Intensität der Erfahrung und Wahrnehmung der Außenwelt und der emotionalen Energiefelder anderer Menschen ginge, um größere Lebendigkeit und Wachheit, meist in Kombination mit einem schnellen Reaktionsvermögen und einem Sinn für Essenz, Tiefe und Komplexität.

Im deutschen Sprachraum sind eher die Arbeiten von Elaine Aron bekannt, die einen Test für Hochsensitivität entwickelt hat, der auch auf deutsch übersetzt wurde. Inzwischen gibt es sogar die Möglichkeit, online einen Test zu machen, der ein schriftliches Ergebnis über den Stand innerhalb des Hochsensitivitätsspektrums aufwirft. Wir werden dort als Orchideen bezeichnet.

In meinem Artikel geht es um Selbsteinschätzung:

Psychomotorische Hochsensitivität

  • Ich habe viel Energie
  • Ich bin zappelig, unruhig
  • Ich rede schnell und oft
  • Ich liebe Bewegung
  • Ich knabbere an meinen Fingernägeln
  • Ich mag schnelle Spiele
  • Ich schlafe nicht viel
  • Ich bin impulsiv
  • Ich konkurriere/wetteifere gern
  • Ich habe nervöse Gewohnheiten
  • Ich drücke meine Gefühle körperlich aus
  • Ich bin manchmal kompulsiv/habe die Tendenz, Handlungen zu wiederholen
  • Ich benehme mich manchmal daneben
  • Ich kann mich stark für etwas engagieren

Psychomotorische Hochsensitivität ist kennzeichnet durch ein Übermaß an hoher Energie. Diese Menschen sind aktiv und energiegeladen, was sich in einem erhöhten Bewegungsdrang, schnellem Sprechen (insbesondere bei überschießend guter Laune) und leidenschaftlicher Begeisterungsfähigkeit ausdrücken kann. Man stelle sich Eddie Murphy, Robin Williams und Jim Carrey in einem Raum vor. Sie brauchen als Kinder wenig Schlaf. Schnelle Sportarten sind beliebt, Wettbewerbskämpfe auch. Psychomotorische Hochsensitivität muss aber nicht gleich heißen, dass man supersportlich ist. Man hat lediglich mehr Energie zur Verfügung als der Rest der Bevölkerung. Für Kinder kann das auch sehr unangenehm werden.

Ich erinnere mich sehr stark, wie ich auf einer Kindergeburtstagsfeier die uns betreuenden Eltern im Nebenraum zueinander sagen hörte: „Typisch Britta – die Kleinste ist immer die Lauteste!“ Dieses Gefühl, „Zuviel“ zu sein, begleitet mich bereits mein ganzes Leben, und das war auch der wahrhaft positive Effekt, den das Lesen von „Living with Intensity“ (der Lektüre, die diesen Blogeintrag inspirierte) in mir schließlich ausgelöst hat: Ich bin nicht allein!


Mit meinen Selbstzertifizierungen habe ich mich sehr in diesem Bereich ausgetobt, um genau diese Kindheitswunde zu heilen und meine Hochsensitivität anzunehmen. Ich bin überzeugt, dass sie sich erst dann zu der Stärke entfalten kann, die sie eigentlich darstellt!

Emotionale Anspannung wird ebenso motorisch ausgedrückt, Beine werden stundenlang gewippt, es können nervöse Angewohnheiten bis zu motorischen Tics auftreten oder zwanghaftem Organisieren. Ich habe Jugendliche gesehen, die unaufhörlich Kugelschreiber auseinander- und wieder zusammengebaut haben oder ihre Federtaschen geöffnet und geschlossen, aus- und wieder eingepackt haben, ohne das zu registrieren. Kinder können häufig nicht verlieren, Erwachsene werden leicht zu Workaholics.

Man kann sich vorstellen, dass die Gefahr von ADHS-Fehldiagnosen bei solchen Ausprägungen besonders hoch ist. Tatsächlich ist die psychomotorische Hochsensitivität bei hochbegabten Kindern nachweislich am weitesten verbreitet.

Daniels und Meckstroth fassen zusammen, dass man solchen Kindern sitzende Aktivitäten verkürzen sollte, Bewegungs- sowie Entspannungsmöglichkeiten anbietet und schlagen Aussagen vor, mit denen man betroffene Kinder positiv ermutigen kann:

  • „Du hast unglaublich viel Energie.“
  • „Deine Intensität wird dir helfen, viele Dinge zu erreichen.“
  • „Ich wünschte, ich hätte auch nur ein Fünkchen von Deine Energie.“
  • „Dein ganzen Körper arbeitet mit, wenn du lernst.“
  • „Du bewegst dich viel und sitzt nicht gern still.“
  • „Manchmal braucht der Körper ein wenig Entspannung.“

Sensorische Hochsensitivität

  • Ich liebe es, Dinge zu berühren
  • Ich habe ein starkes Verlangen nach Behaglichkeit und Gemütlichkeit
  • Ich suche Genuss und Vergnügen
  • Ich reagiere sensibel auf Düfte
  • Ich liebe Musik
  • Ich liebe Schmuck
  • Mich stören Schilder in der Kleidung
  • Ich schätze Schönheit
  • Ich esse zuviel
  • Ich kann Nähte in Socken nicht leiden
  • Als Kind konnte ich nicht barfuß über Rasen laufen
  • Ich werde durch Sinneswahrnehmungen (Töne, Gerüche, Temperatur, Bilder etc.) abgelenkt
  • Kunst zieht mich zutiefst an
  • Ich mag Theater und darstellende Künste

Sensorische Hochsensitivität bezieht sich besonders auf die sinnliche Wahrnehmung, Sehen, Riechen, Schmecken, Berühren, Hören. Diese Menschen empfinden einen großen Genuss bei sensorischen Erfahrungen wie Sprache, Musik, physischer Zärtlichkeit, Düften. Sie haben eine Neigung zu sinnlichen Genüssen wie Essen und Trinken. Es besteht ein Bedürfnis nach Ästhetik und Freude an schönen Dingen, Bildern, Kunstwerken – mit solchen Menschen verpasst man keinen schönen Sonnenuntergang und sie können so in ihren (Natur)erfahrungen versinken, dass die Umgebung mitunter ausgeblendet wird. Sie verlieren sich in Details und nehmen die Welt wie durch ein Mikroskop wahr.


Bei emotionaler Anspannung spielen sich solche Kinder gern ins Rampenlicht, viele überessen sich. Erwachsene gehen extremshoppen. Die Kehrseite ist auch eine deutlich erhöhte taktile Reaktion auf Stoffe, Materialien und Oberflächen. Es sind Kinder, die ihre Socken umdrehen müssen, weil sie die Nähte nicht ertragen. Ihre Eltern müssen nachts die wenigen Klamotten, die die Kinder besitzen, auf der Heizung trocknen, damit sie am nächsten Tag wieder etwas zum Anziehen haben – davon kann ich als Mutter ein Lied singen. Es kann Empfindlichkeit gegenüber grellem Licht, wie Leuchtstofflampen bestehen, ebenso kann es auch sein, dass kein diffuses Kerzenlicht ertragen wird. Ablenkbarkeit, Kopfschmerzen und Erschöpfung, z.B. bei Lärm können die Folge sein. Kinder mit einer Überempfindlichkeit bei Geschmack und Textur von Lebensmitteln können die Nahrungsaufnahme verweigern, ebenso lösen Gerüche mitunter starke Übelkeit und Würgreiz aus.


Auch kleine Dinge können zu beschämenden Erfahrungen führen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, dass ich in der Grundschule einmal minutenlang einen Lichtreflex mit dem Zeigefinger umkreiste und aus dieser Versunkenheit geholt wurde, indem mir bewusst wurde, dass ich dran war, eine Matheaufgabe zu lösen, da meine Lehrerin mich bereits mit deutlicher ungehaltener Stimme aufforderte, die Lösung zu sagen. Da ich nicht wusste, welche Aufgabe oder wie lang ich schon dran gewesen war, blieb mir nichts anderes übrig als so zu tun, als könnte ich es nicht. Dass ich nicht zugeben konnte, geträumt zu haben, war mir allerdings damals schon sehr klar…

Daniels und Meckstroth schlagen vor, den betroffenen Kindern die Umwelt so zu gestalten, dass sie maximalen Komfort und Ästhetik genießen können. Sich die Zeit zu nehmen, auch einmal mit ihnen entspannt an einer Rose zu schnuppern. Die Probleme mit der Kleidung ernst zu nehmen. Und darauf gefasst zu sein, dass solche Kinder sehr viel länger Übergangsobjekte benötigen als ihre Altersgenossen, dass es also durchaus vorkommt, dass der Teddy noch in der höheren Schule im Spind sitzen muss… Ermutigende Bemerkungen könnten sein:

  • „Wie du dich über schöne Dinge/Gefühle freuen kannst!“
  • „Du magst ____ Stoffe/Laute sehr gern spüren, aber ich kann sehen, dass dir ___ Geräusche/Stoffe ganz schön etwas ausmachen.“
  • „Du weißt genau was du magst und was dir gut tut.“
  • „Manchmal macht es Spaß, etwas Neues auszuprobieren. Möchtest du mal ____ ausprobieren?“

Intellektuelle Hochsensitivität

  • Ich liebe es, Probleme zu lösen
  • Ich bin sehr neugierig
  • Ich lese sehr gern
  • Ich kann mich über längere Zeit konzentrieren
  • Ich strebe nach Gerechtigkeit
  • Ich stelle bohrende Fragen
  • Ich liebe es, dazuzulernen
  • Ich analysiere gern Dinge
  • Ich denke gern theoretisch
  • Ich möchte immer richtig liegen
  • Ich brauche/suche die Wahrheit
  • Ich denke gern über das Denken nach
  • Ich beobachte sehr akkurat
  • Ich liebe detaillierte Planung

Intellektuelle Hochsensitivität beschreibt Menschen, die mit einem großen Wissenshunger, tiefer Neugier und einer Begeisterung für Logik und Theorien ausgestattet sind. Sie stellen bohrende Fragen, sind scharfe Beobachter und haben eine anhaltende Konzentrationsfähigkeit sowie ein gutes Gedächtnis mit einer extrem hohen Merkfähigkeit. Sie sind getrieben davon, zu erfahren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Ich kenne ein Exemplar, das fast manisch jedes einzelne technische Gerät, das er in die Finger bekommt, einmal aufschrauben und reingucken muss, weil er offensichtlich nicht ruhig weiterleben kann, wenn er nicht sofort weiß, wie es da drin aussieht. Sie lieben das Lernen und neue Erkenntnisse, lösen gern Denkaufgaben und Probleme und lesen sehr viel.

Solchen Kindern wird nachts die Taschenlampe weggenommen. Was nichts bringt. Ich selbst bin dann regelmäßig aufgestanden und habe mein Buch Zeile für Zeile durch den kleinen Schlitz an der Kinderzimmertür gezogen, durch den das Flurlicht hereinkam. Sie streben bereits in frühen Jahren nach Wahrheit und Verständnis, haben hohe Moralvorstellungen, gehen planerisch vor und erstellen neue Konzepte. Sie reflektieren sich selbst ohne sich zu bewerten, als unabhängige Denker, die auch philosophisch über das Denken nachdenken. Intellektuelle können auch sehr kritisch Dinge und Menschen hinterfragen. Wenn sie keinen guten Tag haben, analysieren sie alles so in seine Einzelteile, dass es ihnen nicht mehr gelingt, diese wieder zusammenzusetzen.


Daniels und Meckstroth bitten darum, bereits sehr kleine Kinder in ihren intellektuellen Bedürfnissen ernstzunehmen und ihnen zu ihren eigenen Projekten, auch zu Kontakt mit ähnlich tickenden Kindern, zu verhelfen. Sie sollten Hilfe erhalten, wie sie ihre unendlichen Fragen selbst beantworten können. Kommunikation und Fragetechniken sollten thematisiert werden. Hilfreiche Sätze sind:

  • „Deine Neugier treibt dich voran.“
  • „Du interessierst dich wirklich für alles.“
  • „Du lernst viele neue Sachen und wirst Dinge bewegen/verändern können.“
  • „Du bleibst dran an deinen Projekten, die dich interessieren.“
  • „Ich mag es, wie du deine Ideen verteidigst.“
  • „Du bist offen, um viel Neues zu lernen.“

Imaginative Hochsensitivität

  • Ich stelle mir Dinge lebhaft vor
  • Ich liebe Phantasie
  • Ich erfinde Dinge
  • Ich schmücke die Wahrheit aus
  • Ich mache mir viele Sorgen
  • Ich fürchte mich vor dem Unbekannten
  • Ich träume sehr intensiv
  • Ich liebe Theater
  • Ich glaube an Magie
  • Ich bin humorvoll
  • Ich habe imaginäre Freunde
  • Ich würde gern malen
  • Ich benutze oft Metaphern/Gleichnisse
  • Meine Sprache und Zeichnungen sind reich bebildert

Imaginative Hochsensitivität bedeutet, eine ausgeprägt lebhafte Phantasie und visuelle Vorstellungskraft mit Erfindungsreichtum zu haben. Solche Menschen lieben es, komplexe imaginäre Abläufe zu erdenken, sind kreativ, visualisieren gern und haben einen ausgesprochenen Sinn für Poesie und Drama. In der Kindheit kann es zu magischem und animistischem Denken kommen, sie haben die Fähigkeit, sich in eine belebte Welt zu träumen und versinken in eigenen oder bestehenden Märchen- und Phantasiewelten. Viele haben imaginäre Freunde.


Bei emotionaler Anspannung kann es schwer sein, die Wahrheit vom Erdachten zu trennen. Fiktion und Realität werden mitunter vermischt. In Stresssituationen schalten solche Kinder ab oder flüchten sich förmlich in ihre Phantasiewelten. Dadurch stehen sie sich selbst im Wege, meiden Neues und verpassen somit Chancen. Sie langweilen sich schnell und brauchen immerzu neue Anregungen. Es können sich auch ausgeprägte Albträume und Ängste zeigen. Diese Kinder werden oft fälschlicherweise für ADS-Kinder gehalten.

Daniels und Meckstroth schlagen vor, ihnen zahlreiche Materialien und Medien zum Zeichnen, Bildhauern, Schreiben, Tanzen, Schauspielern, Bauen und Planen zur Verfügung zu stellen, mit denen sie ihre imaginären Erlebnisse festhalten und vertiefen können. Ihre Vorstellungskraft weiter anzuheizen mit Fragen danach, wie sich das Erdachte beispielsweise in anderen Zeitepochen zeigen würde. Ihnen Geschichten vorzulesen und Entspannungsmethoden vorzustellen. Aktivitäten anzubieten, die kein Ende beinhalten, und ihnen zu helfen, zwischen Realität und Fiktion klar zu unterscheiden. Ihnen zu sagen:

  • „Du hast eine lebhafte Vorstellungskraft.“
  • „Du nimmst die Welt ganz anders wahr.“
  • „Du denkst dir tolle Geschichten aus und kannst sie gut erzählen.“
  • „Du machst die Welt zu etwas Besonderem.“

Emotionale Hochsensitivität

  • Ich bin sehr empfindlich
  • Ich kümmere mich um andere Leute
  • Ich bin schnell frustriert
  • Ich habe ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis
  • Ich habe Einfühlungsvermögen
  • Ich bin schüchtern
  • Meine Gefühle sind extrem ausgeprägt
  • Ich mache mir oft Sorgen
  • Ich bin einsam
  • Ich habe ein starkes Verantwortungsgefühl und fühle mich manchmal sogar schuldig
  • Die Stimmungen von anderen Menschen beeinflussen mich
  • Gefühle bleiben mir sehr lange im Gedächtnis
  • Ich kann mich schwer auf Veränderung einstellen
  • Ich reagiere physisch auf Gefühle, mit Erröten, Magendrücken etc.

Emotionale Hochsensitivität bezeichnet eine gesteigerte Empfindsamkeit für positive sowie negative Gefühle, sehr intensive und komplexe Gefühle, von denen mehrere – auch ambivalente und gegensätzliche – gleichzeitig erlebt und erforscht werden können. Solche Menschen können schüchtern und vorsichtig sein, aber ebenso euphorische und ekstatische Momente erleben. Wenn sie gut gelaunt sind, können sie einen ganzen Raum zum Erstrahlen bringen. Wenn sie traurig sind, lastet die ganze Welt auf ihren Schultern. Sie besitzen eine sehr differenzierte Eigenwahrnehmung, führen innere Dialoge und können sich selbst gut beurteilen. In Bezug auf zwischenmenschliche Beziehungen zeichnen sie sich durch ein hohes Einfühlungsvermögen und besondere empathische Qualitäten aus. Oftmals können sie in einer neuen Gruppe innerhalb kürzester Zeit detaillierte Auskunft darüber geben, wer wie zu wem steht und scheinen fast hellseherische Intuition zu entwickeln. Sie fühlen die Gefühle anderer, als wären sie ihre eigenen. Wenn sie aus dem Kino oder dem Theater kommen, sind sie außerstande, zu erzählen, wie es war, wie sie es fanden. Sie müssen eine Nacht darüber schlafen. Das gleiche empfiehlt sich, wenn sie z.B. nach Verkaufsgesprächen eine Entscheidung zu treffen haben. Sie gehen ausgeprägt tiefe Bindungen an Menschen, Tiere, Orte und Objekte ein und haben Schwierigkeiten, sich in neuen Umgebungen einzugewöhnen.


Eine meiner ganz schlimmen Kindheitserinnerungen in dem Bereich ist das Mitfühlen mit Pflanzen. Ich entsinne mich an einen Nachmittag, den ich tränenüberströmt in totaler Agonie verbracht habe und nicht in der Lage war, meiner Mutter gegenüber einzugestehen, dass ich wegen eines Farnes weinte, den sie als tot deklariert und vom Wohnzimmer auf die windige Terrasse verbannt hatte. Der Schmerz war unglaublich. Die Lächerlichkeit des Gefühls war mir gleichermaßen bewusst. Diese gleiche Terrasse bekam von mir später einmal eine Plakette verliehen, auf der in Erinnerung an die gefällte Esche, die ich „Wilhelm“ genannt hatte, geschrieben stand „Dieser Baum wurde sinnlos gemordet“.


Psychosomatische Reaktionen werden häufig beobachtet: Bauchschmerzen, Herzklopfen, Erröten, schwitzige Hände. In Stresssituationen reagieren sie möglicherweise zudem mit Ängsten, übertriebener Selbstkritik, Schuld und Scham und fühlen sich verantwortlich für nicht kontrollierbare Ereignisse und Zustände. Depressivität, Beschäftigung mit dem Tod und Suizidalität sind häufig nicht fern. Sie können so von Gefühlen überwältigt werden, dass sie zu keiner Handlung mehr in der Lage sind.

Daniels und Meckstroth beschreiben, dass diese Kinder Bezugspersonen brauchen, die ihnen bedingungslos zuhören und sie in ihrer Gefühlsintensität ernstnehmen. Wenn sie das Gefühl vermittelt bekommen, dass das, was sie zu sagen haben, auch anderen wichtig und wertvoll ist, können sie das Selbstvertrauen entwickeln, dass sie, die in ihrer Intensität und ihrem überbordendem Ausdruck von niemandem verstanden werden, jemanden haben, der es zumindest versucht. Wir können ihnen durch Akzeptanz und Aktives Zuhören helfen, diesen Gefühlen einen Namen zu geben. Sie sollten einen Wortschatz der Gefühle vermittelt bekommen und Gefühle immer wieder thematisieren dürfen, um sich selbst, z.B. auf einer Skala, einschätzen zu lernen. Udo Baer und Gabriele Frick-Baer haben auf diesem Feld hervorragende Arbeit geleistet und wunderbare Bücher geschrieben. Zudem müssen die Betroffenen erkennen und zugestehen, dass andere auch Gefühle haben, auch wenn sie sie nicht in dem Extrem nach außen zeigen, in dem sie es erwarten. Die Vermittlung sinnvoller freiwilliger Aktivitäten, wie ein Ehrenamt, tun diesen Kindern gut und nehmen ihren Wunsch nach sozialem Engagement ernst. Sie profitieren von folgenden Ermutigungen:

  • „Du fühlst, was andere fühlen.“
  • „Du hast tiefe Gefühle und tust sehr viel für andere.“
  • „Du bist sehr aufrichtig anderen gegenüber.“
  • „Du stehst zu denen, um die du dich sorgst.“
  • „Du kennst Freude, Frust, Traurigkeit, Liebe und Ärger – eine ganze Welt der Gefühle.“

Dabrowskis Theorie der positiven Desintegration

Wirklich spannend wurde das ganze Thema für mich erst dann wieder, als ich durch das Buch „Living with Intensity“ auf Dabrowskis zugrundeliegende „Theorie der positiven Desintegration“ stieß, die bereits 1964 publiziert wurde und den bestehenden Formen der Hochsensitivität erst einen wirklichen Sinn verleiht. Durch den Austausch mit vielen hochsensiblen Menschen weiß ich, dass einige auch noch als Erwachsene sehr stark unter ihrer niedrigschwelligen Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinnesreizen leiden können. Hochsensitivität ist keine Krankheit, aber sie kann in ihrer Symptomatik unter Umständen als eine solche empfunden werden.

Denn diese intensive Wahrnehmung und etwaige körperliche Reaktionen darauf arbeiten sich nicht etwa im Laufe der Zeit ab, sie können bis ins hohe Lebensalter ungebremst erhalten bleiben.

Dabrowski sieht darin jedoch nicht nur die Chance zu einer potentiell positiven Persönlichkeitsentwicklung, er hält die Hochsensitivität sogar für eine Notwendigkeit und Voraussetzung, um Wachstum in ein reiches und erfülltes Leben im Einklang mit sich selbst, seinen höheren Werten und der Umwelt entstehen zu lassen. Der durch das erhöhte Empfindungsvermögen bedingte innere Konflikt wirkt hier als antreibende Kraft, Veränderung zu bewirken. Und damit gibt Dabrowski selbst solchen Lebenskrisen, die sich in psychischen und behandlungsbedürftigen Auffälligkeiten äußern (wie z.B. Depression, Ängsten, Psychosomatik), eine Dimension, die ihnen die Pathologie einer Störung nimmt. Sie gehören für ihn einfach erwartungsgemäß zum Leben dazu.

Symptome nicht zu bekämpfen, sondern sie einfach als Herausforderung anzunehmen, das ist ein Ansatz, der mir sehr entgegenkommt. Es handelt sich um nichts anderes als ein Reframing. Die Kunst, (vermeintlich) Negatives positiv umzudeuten, ist ein großer Bestandteil eines widerstandsfähigen, resilienten Lebens, und allein das Bewusstsein dafür hat mir bereits in vielen Situationen sehr geholfen. Für mich fängt es übrigens mit dem Benennen schon an, denn es macht z.B. einen starken Unterschied, ob ich ein Kind als „hyperaktiv“ oder „altklug“ bezeichne, oder ob ich es – mir, insbesondere dem Kind selbst und auch seinen Eltern gegenüber – als „bewegungsfreudig“ oder „kommunikativ und an allem interessiert“ erkenne und annehme. Da verweise ich gern auf meinen Artikel mit der Schnellanleitung für einen positiven Blick auf Kinder.

Weil ich sie als so wertvoll erachte, möchte ich die Theorie der positiven Desintegration hier ebenso ausführlich darstellen, wie ich mich den dazugehörigen Formen der Hochsensitivität gewidmet habe. Kazimierz Dabrowski (1902-1980), der im Zweiten Weltkrieg in Polen Schreckliches erlebt, jedoch auch viel Hilfsbereitschaft erfahren hatte, beschäftigte sich als Psychologe, Arzt und Philosoph mit Biographien von bekannten Menschen, Heiligen und insbesondere auch begabten Menschen, Künstlern und Kreativen. Er fand heraus, dass sowohl (intellektuelle) Begabung als auch Hochsensitivität maßgeblich das individuelle Entwicklungspotential bestimmen. Als dritten Faktor benannte er das Streben nach Wachstum und Autonomie. Daraus formulierte er fünf Stufen der Persönlichkeitsentwicklung im Prozess vom ichbezogenen Egozentriker zum selbstbestimmten Altruisten.

Entwicklungsstufen der Persönlichkeit

Stufe 1, „Primäre Integration“ ist geprägt von purem Egoismus und Egozentrismus. Das Selbst ist das Zentrum des eigenen Universums. Alles ist gut, was dem Selbst dient, es ist ausschließlich Bedürfnisbefriedigung gefragt. Es besteht kein wirkliches Bewusstsein für sich selbst, keine Innenschau, kein innerer Konflikt. Empathie oder Verantwortungsgefühle gibt es nicht. Andere sind dazu da, zu eigenen Gunsten manipuliert und ausgenutzt zu werden. Ich nehme an, es beschreibt den klassischen Narzissten. Im Falle einer äußeren Krise kann kein inneres Wachstum geschehen. Probleme werden schlicht recycelt. Zum Beispiel streitet man sich ständig mit allen um das gleiche Thema oder lässt sich nach der x-ten Scheidung noch immer auf den gleichen Typ Partner ein. Mir fällt dazu die kleine Anekdote ein, wie ich letztes Jahr in einem kleinen englischen Straßencafé frühstückend meinen Tischnachbarn eine unfassbar frauenfeindliche Bemerkung zu einem Passanten sagen hörte. Als deren Gespräch beendet war, konnte ich mir nicht verkneifen, mich zu ihm hinüberzudrehen und ihn höflich anzusprechen, ob ich ihn fragen dürfte, wie oft er schon geschieden wäre? Seine wenig überraschende, allerdings recht humorvolle Antwort lautete: „Twice. I am currently between divorces. – Zweimal. Ich befinde mich gerade zwischen zwei Scheidungen.“ Bingo!

Stufe 2, „Unilevel Desintegration“ kann typisch sein für Phasen wie die Pubertät oder Menopause.  Die Persönlichkeitsstruktur kann krisenhaft teilweise zusammenbrechen, Entwicklung führt jedoch noch nicht zu Wachstum. Nicht persönliche Werte werden als wichtig erachtet, sondern soziale Gruppen und soziale Zwänge. Was andere denken, spielt im soziozentrischen Weltbild eine sehr große Rolle. Es wird nach Bestätigung von außen gesucht. Anpassung als Überlebensstrategie. Dinge werden erledigt, weil „man“ es eben so tut, nicht, weil man sich daran erfreuen könnte. Wenn der Nachbar BMW fährt, schafft man sich dann eben auch einen an. Getan wird, was erwartet wird. Rasenkanten sind jederzeit akkurat ausgestochen. Es ist einfacher, Mitläufer zu sein. Es gibt eine deutliche  Unterscheidung zwischen „uns“ und „den anderen“. In geringer Ausprägung vermietet man statt Gästezimmern „Fremdenzimmer“. Bei starker Ausprägung nehme ich an, dass es auch das ethnozentrische Weltbild des klassischen Fundamentalisten beschreibt. Antworten zu bestehenden Lebensfragen werden (mitunter unstet) in Heilslehren, externen Normen, Führungspersonen und Autoritäten gesucht, jedoch niemals in sich selbst. Die innere Stimme wird nicht befragt.

Stufe 3, „Spontane Multilevel Desintegration“ ist nun die erste Stufe, in der übergreifend und mehrschichtig positive Desintegration geschehen kann. Google definiert Desintegration (Spaltung, Zerfall) wie folgt: „Mangel an Integration; schrittweise Auflösung von etwas, das ein integriertes Ganzes ist.“ Oft passiert eine solche Krise plötzlich, es gibt einen konkreten Auslöser, eine Krankheit, ein Verlust, ein Versagen. Unrecht wird stark gefühlt, diese Menschen sind anderen gegenüber einfühlsam und stellen Vieles in Frage, stellen viele Fragen. „Was ist der Sinn des Lebens?“ „Warum bin ich hier?“ Es entsteht ein innerer Konflikt, eine psychische Erschütterung, die sich auch in Ängsten, existenzieller Verzweiflung, Schmerzen und Depression äußern können. So gibt es ein deutliches Spannungsfeld zwischen dem, „was ist“, und dem, „was sein sollte“. Auf dieser Stufe werden persönliche Werte entwickelt. Innere Schweinehunde werden erfolgreich bekämpft. In der abgleichenden Bewegung in Richtung ihres neu anvisierten Sollzustandes kommt es schließlich zu innerer Transformation.

Stufe 4, „Organisierte Multilevel Desintegration“ ist der Fortschritt, der sich aus der vorherigen Entwicklung aus der inneren Krise heraus ergibt. Das, „was sein sollte“, konnte sich manifestieren. Es besteht eine klare Richtung im Leben, es gibt einen gefühlten Auftrag, eine Mission, die dazu befähigen, zunehmend immer häufiger in Selbstverwirklichung seine Ideale zu leben. Es handelt sich um autonome, verantwortliche Menschen, die sich ihrer Selbst bewusst und unabhängig von ichzentrierten Bedürfnissen sind. Sie leben in Einklang mit ihren persönlichen Werten und sind frei von dem Gefühl, soziale Konventionen bedienen zu müssen. Sie sind mitfühlend ihren Mitmenschen in einem weltzentrischen Gemeinschaftsgefühl verbunden.

Stufe 5, „Sekundäre Integration“ beschreibt eine weit fortgeschrittene mehrschichtige Entwicklungsstufe, einen Menschen, der mithilfe großer Intuition und Wissen sein Ideal erreicht hat und darüber hinaus auf eine Verbindung zu etwas Höherem, Größeren vertraut und sich und sein Leben dem Wohl der Gesamtheit widmet, im Kleinen oder im Großen. Ein solcher Mensch ist authentisch, mitfühlend, im Einklang mit allem Leben und hat inneren Frieden erreicht. Er weiß, dass alles eins und miteinander verwoben ist. Bei Ken Wilber, der ein noch viel differenzierteres integrales Modell vorstellt, habe ich die Beschreibungen „transpersonal“ und „kosmozentrisch“ gefunden.

Die von Dabrowski genannten Beispiele Jesus und Gandhi, die von Piechowski mit Eleanor Roosevelt und Peace Pilgrim ergänzt wurden (eine Frau, die alle weltlichen Besitztümer aufgab, um 28 Jahre für einen guten Zweck durch die USA zu wandern) ließen mich stark an der offiziellen Erreichbarkeit dieser Stufe zweifeln.

Sal Mendaglio, der das Buch über die Positive Desintegration schrieb, erzählte mir auf einer Konferenz, dass er gerade dabei ist, lebensnahe Beispiele für die letzte Stufe zu sammeln, um sie der Menschheit näherzurücken. Auch Stephanie Tolan kam zu dem versöhnlichen Schluss, dass für sie jemand die fünfte Stufe erreicht hat, der sich selbst und sein Innerstes so transformiert hat, seine Erfahrungen solcherart reflektiert und in die Welt bringt, dass sie sein höchstes Bewusstsein und die Verbundenheit mit der gesamten Menschheit, deren Teil sie sind, ausdrück. In meinen Worten sind es Menschen, die so leben, wie sie „gemeint“ sind. Und das finde ich dann wieder ein schönes und erstrebenswertes Ziel…

Übungssammlung zur Förderung der phonologischen Bewusstheit

Wirksam und spielerisch die Lese-Rechtschreibkompetenzen fördern

Es ist erwiesen, dass Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten daraus entstehen können, dass Kinder die  Einzellaute, aus denen Wörter aufgebaut sind, nicht richtig wahrnehmen und verarbeiten können. Das kann man sich ja auch leicht vorstellen, dass ein Wort, wenn es nicht richtig gehört wird, auch nicht richtig geschrieben werden kann.

Ich vermute beispielsweise schon recht lang, dass die Tatsache, dass unglaublich viele Erstklässler das „Dativ-dem“ noch nicht verwenden, also „etwas liegt auf den Tisch“ statt  „auf dem Tisch“ sagen, in einem Verhörer begründet sein könnte und nicht unbedingt in Grammatikproblemen. Rund sechzig Prozent aller deutschen Worte werden lautgetreu geschrieben, also genau so, wie man sie hört. Diese sechzig Prozent hätte man also schon einmal gewonnen, wenn die Hörwahrnehmung klappt. Das reduziert die mögliche Fehlerzahl gewaltig!


Nachweislich erleichtern kann man Kindern den Einstieg in den Lese- und Rechtschreiberwerb, wenn man also bereits vorschulisch die Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit fördert. Zur phonologischen Bewusstheit gehören im weiteren Sinne das Reimen oder Silbenklatschen, das sogar schon Dreijährige meistern können. Die meisten sind in der Lage, den Satz „Ich kenne eine Maus, die wohnt in einem —-“ korrekt zu beenden.

Im engeren Sinne gehört dazu das Erkennen von gleichen Anlauten oder  die Fähigkeit, aus den Silben Mau – se – fal – le das Wort Mausefalle bzw. aus den Lauten W-a-l das Wort Wal zusammenzusetzen (und umgekehrt). Oder dass ein Kind, wenn ihm T- isch vorgesagt wird, auf den Tisch zeigt und nicht auf den Fisch. Und erst recht nicht auf den Stuhl. Dies ist schon deutlich schwerer. Es bedeutet jedenfalls, dass ein Kind in der Lage sein sollte, nur die Wortform unabhängig von der Bedeutung des Wortes betrachten zu können.


Ein weiterer Aspekt, der dazu gehört, ist die phonologische Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis, sprich: die Merkfähigkeit. Und auch hier kann man sich wieder denken, dass es bei einer geringen Merkspanne schwierig sein sollte, kompliziertere Wortoperationen vorzunehmen wie zum Beispiel die Aufgabe: „Zeig mir „Bengel“, aber hexe vorher bitte das B weg!“ Abgesehen davon, dass das Anlaute-Manipulieren tatsächlich eine der schwierigsten Aufgaben ist, die einem in diesem Bereich begegnen kann, ist es schwer, auf den Engel zu zeigen, wenn man sich schon die Aufgabenstellung bzw. das Ausgangswort gar nicht richtig merken konnte.

Die phonologische Verarbeitung beim Zugriff auf den Wortspeicher ist ein weiterer Punkt. Das kann man z.B. daran erkennen, wie sehr man sich dabei verhaspelt oder vielleicht falsche Wörter sagt, wenn man schnell eine Reihe von Begriffen benennen lässt. Und zuletzt ist es auch wichtig, dass die Verknüpfung zwischen dem Laut mit dem dazugehörenden Buchstaben gut gefestigt ist, die sogenannte Paarassoziation. Es soll Kinder geben, die schlicht Probleme haben, sich den passenden Buchstaben zum passenden Laut zu merken.


Um dieses alles zu trainieren und die Kinder zu unterstützen gibt es einige Programme für Kindertagesstätten, wie zum Beispiel „Wuppi“ und „Lobo vom Globo“ oder die „Mutter aller Trainingsprogramme“, das „Würzburger Trainingsprogramm“ „Hören, lauschen, lernen“. Natürlich habe ich als Logopädin viele therapeutische Spiele und als Dozentin in der Kitaweiterbildung auch Anschauungsmaterial in dieser Richtung da. Weil ich mir aber gedacht habe, dass es doch immer etwas viel verlangt ist, sich gleich irgendwelche teuren Materialien anzuschaffen, sei es als Eltern oder als pädagogische Fachkraft, habe ich irgendwann angefangen, Spielideen, die ich mir entweder selbst ausgedacht hatte oder im Internet fand, einfach mit dem Material umzusetzen, das ich hatte.

Und eines der ältesten Spiele, das ich besitze, das es auch noch zu kaufen gibt, ist das Kinder Memory von Ravensburger. (Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass ich hier in keiner Weise vertraglich mit dem Verlag verbandelt bin –  Und ja, wie auf dem Photo zu erkennen ist, habe ich als Kind darauf wert gelegt, insbesondere ein gewisses Pärchen zu gewinnen: Die markierte Karte ist eine Katze.)

Ich begann, damit zu experimentieren, und machte es mir zusätzlich zur Gewohnheit, wann immer ich mein Seminar über phonologische Bewusstheit irgendwo hielt, allen Teilnehmerinnen die Zeit zu geben, ebenfalls ihre Spielideen miteinander auszutauschen und aufzuschreiben. Mit der Zeit ist dadurch eine recht ordentliche Spielesammlung zustande gekommen, die über den Bereich phonologische Bewusstheit deutlich hinaus geht. Und genau diese Sammlung stelle ich im Folgenden vor. Sie ist sicherlich auch auf andere Spiele übertragbar. Viel Spaß damit!

Ideensammlung für das „Kinder Memory“

Wortschatz und Sprachproduktion

  • Kartenklatschen
  • Bilder benennen
  • In vollständigen Sätzen erzählen, was man sieht: Der Luftballon ist rot. Der Feuerwehrmann löscht das Feuer.
  • Schneller Wortabruf: Normale Memoryregeln. Die gewonnenen Karten werden offen neben jeden Spieler abgelegt. Wer ein neues Pärchen gewinnt, muss so schnell wie möglich alle seine bislang gewonnenen Karten benennen
  • Bilder pantomimisch darstellen, raten lassen
  • Einzahl-Mehrzahl – lässt sich generell gut bei jedem Memoryspiel begleitend einsetzen
  • Sortieren nach Artikeln (gern auf farbigem Papier: blau = der, rot = die, gelb = das)
  • Erklären und Raten: Die Hälfte der Bilder offen auslegen, die andere Hälfte verdeckt stapeln. Abwechselnd eine Karte vom Stapel ziehen, erklären, wie es aussieht, was man damit machen kann… -(ohne den Begriff zu nennen) und erraten lassen
  • Variante: Ich sehe was, was Du nicht siehst…
  • Kategorien bilden: Tiere, was kann man essen, was fliegt, was hängt am Baum, was hat vier Beine, was schwimmt, was wächst, Fahrzeuge…
  • Variante: Finde aus einer Reihe den Gegenstand, der nicht dazu passt (Beispiel Oberbegriff Tiere: Flugzeug – Katze-Eule-Hund)
  • Größe und Gewicht: Was kann ich tragen?
  • Nach Möglichkeiten sortieren: Was kann alles in einem Haus sein? Was gehört nach drinnen, was nach draußen?
  • Was braucht: …ein Schiff? Wasser, … ein Hund? Wasser und Fressen, …die Blume? Wasser und Erde und Sonne
  • Was verbindest du mit dem Bild? Frosch = Froschkönig, Teich…
  • Gegensätze finden: heiß/kalt
  • Adjektive finden, Bilder beschreiben
  • Wortreihen zusammensetzen, auch Quatschwörter: Clowneis, Erdbeerhund,…
  • Ratz Fatz: Erwachsener erzählt eine Geschichte. Die Zielwörter liegen aus und sollen von den Kindern erkannt und aus der Mitte genommen werden.
  • Quatschgeschichten: Jeder Spieler bekommt von jedem Mitspieler eine Karte zugeteilt. Alle erhaltenen Wörter müssen in der Geschichte vorkommen
  • Koffer packen
  • Zicke Zacke Hühnerkacke: Die Hälfte der Karten offen im Außenring als Spielfeld auslegen, die andere Hälfte verdeckt in die Mitte legen. Mit Spielfiguren einen Weg erwürfeln und die Karte, auf der man gelandet ist, in der Mitte versuchen, wiederzufinden
  • zählen

Visuelle Wahrnehmung

  • Farben benennen
  • Variante: von fünf ausgelegten Karten die vier roten Gegenstände heraussuchen
  • Dalli Klick: Pappen ausschneiden, z.B. mit Symbolen in der Mitte. Die Bilder werden damit belegt und zum Teil verdeckt. Raten lassen, was darunter versteckt ist
  • Kim-Spiel: Eine zu steigernde Anzahl von Bildern auslegen. Davon nach einer Weile des Einprägens ein bis zwei der Bilder aus der Mitte entfernen und erraten lassen
  • Kim-Spiel-Variante: z.B. 3 Bilder in die Mitte legen, alle umdrehen: Was lag da? Anzahl steigern
  • Mit den Karten die Formen von Buchstaben auslegen

Hörwahrnehmung und Phonologische Bewusstheit

  • Geräusche produzieren und raten lassen: Die Hälfte der Bilder offen auslegen, die andere Hälfte verdeckt stapeln. Abwechselnd eine Karte vom Stapel ziehen und ein Geräusch produzieren
  • Geräusche vorher mit den Kindern aufnehmen. Abspielen lassen, dann raten
  • Lieder zu den Bildern finden und singen (dazu eignet sich insbesondere auch das „Nanu“-Mitbringspiel von Ravensburger)
  • Reime bilden, auch Quatschreime. Das entsprechende Bild erraten lassen und aus der Mitte sammeln: Ratze – Katze
  • Wettbewerb: Wer findet am schnellsten einen Reim?
  • Wettbewerb: Karten aufdecken – Wer klatscht am schnellsten die Silben?
  • Jeweils zwei Karten zur Auswahl geben und bestimmen lassen, welches länger und welches kürzer ist
  • Mit Bauklötzen, Legosteinen oder ähnlichem die Mengen 1 bis 5 darstellen. Die Bilder anhand der Silbenanzahl von Clown bis Mo – tor – rad – fah – rer sortieren.
  • Wer hat das längste Wort: Alle Bilder auf die Spieler austeilen, Stapel bilden. In jeder Runde geben die Spieler die oberste Karte in die Mitte. Wer das längste Wort bilden kann, gewinnt die Runde. Haben zwei Spieler die gleiche Silbenanzahl, gibt es zwischen den beiden ein Stechen. Wer am Ende den größten Stapel hat, gewinnt.
  • Alle Karten in einem Kreis verdeckt auslegen. Jeder hat eine Spielfigur auf einem eigenen Feld. Man dreht die Karte um, auf der man steht, und geht so viele Felder weiter, wie diese Silben hat. Dabei tritt man nur auf die noch verdeckten Karten
  • Variante: Jedes Kind erhält seine eigene „Bilderleiter“, die es auf diese Art hochklettert. Wer die längsten Wörter hat, ist demnach zuerst oben angekommen und gewinnt.
  • Einen Würfel dazunehmen und je nach Würfelpunkten ein Wort mit der passenden Silbenanzahl heraussuchen. Die 6 ist ein Joker. Mögliches Spielende: Wer zuerst alle 1- 5 Silben gesammelt hat
  • Die Karten statt eines Würfels in einem Brettspiel der Wahl verwenden und pro Silbe ein Feld weiterziehen: Dreht man das Flugzeug um, geht der Spieler zwei vor, etc.
  • Karte ziehen und die Anzahl der Silben auf Teppichfliesen hüpfen lassen. Daraus kann man ein Zielwetthüpfen machen: Wer zuerst ankommt
  • Silben vermischen: schen – lam  – ta – pe, beer – eis – erd, pe – tul, to – wehr – feu – au sollen trotzdem verstanden und herausgesucht werden
  • Sprachmelodie: Wörter verschiedener Silbenanzahl auslegen, vorsummen. „M – m – m“ für Feuwehr, „M“ für Bus sollen trotzdem verstanden und herausgesucht werden
  • Sich zu einer Karte einen Satz ausdenken. „Die Katze klettert eine Leiter hoch“. „Der Hund bellt“. Das Kind soll zählen, wie viele Wörter in dem Satz waren. Eine Handvoll Muggelsteine oder ähnliches zum Darstellen der Anzahl bereithalten
  • Sortierspiel: Anlaute nach dem ABC
  • Anlauterkennung: Generell gleiche Anlaute finden lassen
  • Variante: Bei zwei vorgelegten Karten erkennen lassen, ob sie gleich anfangen oder nicht
  • Variante: 4 Karten auslegen, von denen drei gleich anfangen. Welches gehört nicht dazu? z.B. Schloss – Schiff – Schlange – Maus oder Frosch – Feuerwehr – Hund – Flugzeug
  • Das gleiche mit Endlauterkennung
  • Endlaut-Anlaut-Wörterschlange: An ein Wort, das mit SCH endet, passt ein neues, das mit SCH anfängt: An Schiff passt Fisch, an Fisch passt Schlange, an Schlange passt Erdbeere etc.
  • Von zwei gleich anfangenden Wörtern nur den ersten Laut benennen: Fisch und Feuerwehr beginnen mit F
  • Vokalerkennung: An jeden Spieler 5 Karten austeilen. Einer beginnt, eine Karte in die Mitte zu legen, die nächsten müssen die Vokale bedienen. Katze passt auf Schlange. Wer nicht kann, nimmt eine Karte auf.
  • Variante: Vokalwechsel: Auf Lokomotive passen Wörter mit o, i und e
  • Drei Chinesen mit dem Kontrabass: Vokal aussuchen, alle Wörter damit sprechen. Maas, Aas, Krakadal
  • Nach einem bestimmten Ziellaut suchen, z.B. K, dann Katze, Schnecke etc. zusammentragen. Anschließend sortieren nach Anlaut – Mittellaut – Endlaut
  • Robotersprache: Karten auslegen und beim Benennen den Anlaut vom Reim trennen. Die Kinder sollen erkennen, welches Wort gesagt wurde, K-atze, H-und, Fl-ugzeug… Oder auch den Endlaut abtrennen: Mau-s, Eul-e
  • Robotersprache – erhöhter Schwierigkeitsgrad: Alle Laute voneinander getrennt vorsprechen und erraten lassen, Sch-i-ff, K-a-tz-e,…
  • Spoonerism: Weuerfehr, Schampfdiff, Spegenst, Fotorradmahrer sollen trotzdem verstanden und herausgesucht werden
  • Beide Karten eines Pärchens auslegen, eines der Wörter falsch aussprechen: Schiff oder Siff, Baum oder Paum, Apfel oder Afel. Entscheiden lassen, welches richtig war.
  • Wörter nach Anzahl der Laute sortieren, C-l-ow-n = 4, K-a-tz-e = 4
  • Quatschsuppe: die Karten werden sichtbar ausgelegt, der Spielleiter bestimmt einen Anlaut, z.B. L. Nun wird eine L-Suppe gekocht und alle Anlaute werden durch diesen ersetzt: Losch, Latze, Leuerwehr…
  • Geheimsprache: Seinen eigenen Namen aus den Anfangslauten legen, Gabi= Geldbeutel – Apfel – Baum – Indianer
  • Laute aus dem eigenen Namen wiedererkennen   
  • Laute manipulieren: Karte ziehen und benennen, Anlaut weghexen. Was bleibt?
  • Paarassoziation: Zu einzelnen Karten Laute erfinden oder Silben. Clown = mi, Ballon = la, Feuerwehrauto = ro. Auswendig lernen, dann Reihenfolge vertauschen. Was steht da jetzt? Gern auch die Pärchen doppelt verwenden: ro – mi – la – la – ro – mi

Auditive Merkfähigkeit

  • Bis auf eines alle Bilder in der Mitte benennen. Die Kinder raten, welcher Begriff fehlte. In jeder Runde eine Karte mehr dazunehmen und den Schwierigkeitsgrad steigern
  • Variante: Ein halbes Memoryspiel liegt offen in der Mitte, die andere Hälfte auf einem Stapel. Einer zieht mehrere Karten vom Stapel (Anzahl steigerbar) und „liest sie vor“. Anschließend werden die gehörten Bilder eingesammelt oder mit Muggelsteinen, Holzsteinen etc. belegt.
  • Variante: Alle Karten mischen und auslegen. Einer zieht nacheinander eine Karte nach der anderen und „liest sie vor“. Danach wird sie verdeckt wieder umgedreht. Die Kinder sollen sich Karten und Position merken. Wenn die erste doppelt vorgekommen ist, dürfen die anderen versuchen, sie abzuklatschen
  • Rollbrett-Memory: Die Karten im Raum verteilen und ansagen, welche das Kind auf seiner Runde auf dem Rollbrett (oder einem anderen vorhandenen Verkehrsmittel, z.B. Bobbycar) mitbringen soll. Anzahl steigern.

Ein Dank geht an alle weiteren Ideengeberinnen und Teilnehmerinnen der Seminare „Förderung der phonologischen Bewusstheit als Prävention von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten“, und „Die Bedeutung des Hörens in der kindlichen Entwicklung“.

Faszination Aussprache

Ich werde sehr oft von Eltern oder Erzieherinnen zwischen Tür und Angel um die Einschätzung der Sprachentwicklung eines Kindes gebeten. Wenn Kinder Probleme mit verschiedenen Lauten haben und ständig falsch verstanden werden, dann machen sich die Angehörigen natürlich Sorgen. Selbstverständlich stelle ich keine Ferndiagnosen, aber es ist durchaus keine Zauberei, nach ein paar gezielten Nachfragen aus den geschilderten Eigenarten schließen zu können, ob genau dieses bestimmte Kind dringend einmal einem Arzt vorgestellt werden müsste, um frühzeitig einer Sprachentwicklungsstörung vorzubeugen. Ich möchte an dieser Stelle gern verraten, woran ich mich bei meiner Entscheidung orientiere, und konzentriere mich auf den Schwerpunkt Ausspracheentwicklung.

Ausspracheprobleme sind tatsächlich die häufigsten sprachlichen Schwierigkeiten, die Kinder zeigen (In einer Studie wurden bei einer Gruppe vier- bis sechsjähriger Kinder 15,1 Prozent als sprachauffällig eingestuft. Dies teilte sich auf in 13,3 Prozent mit Ausspracheproblemen und 1,8 Prozent mit sonstigen Sprachauffälligkeiten). Die differenzierte Steuerung der Sprechmuskulatur muss erst einmal koordiniert werden. Dabei wissen viele durchaus schon um die richtige Aussprache, können diese aber noch nicht bewältigen. Ich hörte einmal einer Erzieherin zu, die ein Kind, das noch gar keine Zischlaute bewältigen konnte, liebevoll in ihrer eigenen Aussprache aufforderte, sie solle doch bitte noch ihre „Nocken“ anziehen. Empört antwortete diese: „Das ist doch keine Nocke! Das ist eine NOCKE!“ Sie konnte Nocken sehr klar von Socken unterscheiden, nur eben noch nicht richtig aussprechen.

Kinder können hierbei Schwierigkeiten bei der Lautbildung (Phonetik), also der Artikulation an sich, oder der Lautverwendung, also der phonologischen Wahrnehmung zeigen. Welche der beiden Ursachen zutrifft – oder sogar beide – ist das, was unter anderem im Laufe einer logopädischen Diagnostik herausgefunden werden muss.

Aussprachestörungen

Barbara Dodd erforschte Aussprachestörungen in Newcastle in Großbritannien und konnte anhand ihrer internationalen Studenten beweisen, dass auf der ganzen Welt ein sprachenunabhängiges Klassifikationsmodell von Aussprachestörungen formuliert werden kann. Annette Fox-Boyer wendete diese Forschung auf die deutsche Sprache an. Als ich vor zwanzig Jahren meine Ausbildung als Logopädin beendete, wurde noch grob zwischen „Dyslalien“ unterschieden, die entweder universell (es sind so viele Laute betroffen, dass das Kind unmöglich zu verstehen ist), multipel (es sind viele Laute betroffen, aber Mama kann es verstehen) oder partiell (bissig: sogar Papa kann es verstehen) sein konnten.

Durch Fox-Boyers Studien seit 1999 wird im Bereich der phonologischen Auffälligkeiten nun zwischen einer verzögerten Entwicklung, einer konsequenten oder inkonsequenten phonologischen Störung unterschieden.

Vorab ein paar Definitionen. Ein Phonem (Laut) ist eine bedeutungstragende sprachliche Einheit, die sich nicht weiter in bedeutungsunterscheidende Einheiten zerlegen lässt. Es kann (phonetische) Varianten bilden, die zum Teil auch dialektal sind (Zungenspitzen- oder Zäpfchen-/r/, korrektes oder gelispeltes /s/). Spreche ich in meiner Muttersprache Friesisch, nenne ich meinen Namen mit einem vorn gebildeten /r/, spreche ich jedoch deutsch, verwende ich eigentlich automatisch das hinten gebildete /r/. Wenn ich es verwechseln sollte, würde das wahrscheinlich niemand wirklich bemerken. Der Inhalt der Aussage bleibt erhalten, egal, für welche dieser Varianten ich mich entscheide. Das Wort an sich wird nicht verändert.

Weicht die Aussprache jedoch phonologisch ab, dann wird entweder die Wortstruktur verändert oder Laute durch andere ersetzt. Wenn ein Kind kein /k/ sprechen kann, wird es dieses häufig durch ein /t/ ersetzen. So kann es nicht nach der „Kasse“ fragen, sondern sagt „Tasse“. Der Inhalt verändert sich – und der Zuhörer landet somit statt im Einkaufsladen plötzlich in der Puppenküche. Eine solche Abweichung von der regelhaften Aussprache wird „phonologischer Prozess“ genannt. In diesem Fall hat das Kind die Aussprache des /k/ (das mit dem Zungenrücken artikuliert wird) zum /t/ vorverlagert, das mit der Zungenspitze lautiert wird – ein Prozess, den viele Kinder im physiologischen Lautspracherwerb zeigen. Mit 3;0 Jahren haben die meisten Kinder diesen Prozess überwunden und können ein /k/ sprechen. Fox-Boyer hat für den Phonemerwerb einsprachig deutscher Kinder folgende Erwerbszeiträume dokumentiert:

Britta Weinbrandt - Praxis für Logopädie - Phonemerwerb im Deutschen

Als erworben gilt ein Phonem, wenn es von 90 Prozent der Kinder einer Altersgruppe in mindestens zwei von drei Fällen korrekt ausgesprochen wird.

Phonetische Störungen/Artikulationsstörungen

Von phonetischen Störungen/Artikulationsstörungen (am bekanntesten ist das Lispeln) sind ca. 5 bis 10 Prozent der ausspracheauffälligen Kinder betroffen. Die Zunge kann bei der multiplen Interdentalität beim Sprechen zwischen den Zahnreihen herausgucken. Dies betrifft alle Laute der 2. Artikulationszone, die hinter dem Zahndamm gebildet werden, wie /l, n, d, t, stimmhaftes und stimmloses s, ts/. Ebenso zählen dazu seitliche Bewegungen der Zunge, die sogenannte Lateralisation, die bei /sch, stimmhaftem und stimmlosem s, ts/ beobachtet wird.

Es muss gefragt werden, ob eine Störung der Mundmotorik vorliegt oder ob das Kind sich eventuell eine falsche Lautproduktionsstelle angewöhnt hat, was auch durch Imitation geschehen kann. Ein solches Phänomen  tritt manchmal auf, wenn ein neues Kind zuzieht, auf das die Liebe fällt, und das diese Angewohnheit zeigt. Das wird dann leicht mal nachgeahmt, damit man auch so cool ist!  Solche Kinder profitieren von der Förderung der Verbesserung der Wahrnehmung und Koordination im Mundraum und allgemein von der Förderung der Mundmotorik.

In meinem Artikel über Mundmotorik stelle ich ein paar Ideen vor, wie die Zungenfertigkeit spielerisch gefördert werden kann.

Phonologische Entwicklungsverzögerung

Die verzögerte phonologische Entwicklung betrifft etwa 50 Prozent der auffälligen Kinder. Sie haben weder mundmotorische Probleme noch Defizite in der phonologischen Bewusstheit. Sie zeigen ausschließlich physiologische phonologische Prozesse, ersetzen jedoch weiterhin Laute, die ihre Altersgenossen zu einem früheren Zeitpunkt bereits erworben haben. Bei ihnen muss man den Grund für die Entwicklungsbremse herausfinden. Sie profitieren jedoch sehr von Hörwahrnehmungsübungen.

Es passiert tatsächlich immer wieder, wenn ich z.B. nach der Diagnostikstunde einem fünfjährigen Kind, das kein /sch/ spricht, erklärt habe, dass es ein „Schlangengeräusch“ macht, wo andere ein „Lokgeräusch“ produzieren, und ich dann Schlange und Lok heraushole und den Unterschied erkläre, dass dann bereits der Knoten platzt. Es ist dann so, als müsste die Wahrnehmung für den Unterschied beider Laute erst angekurbelt werden und beide hätten sich für das Kind vorher gleich angehört. Manchmal kommen diese Kinder bereits in der nächsten Woche wieder und haben das /sch/ spontan umgesetzt. Das ist aber leider nicht die Regel, und viele brauchen deutlich länger dafür.

Annette Fox-Boyer fand in ihren Studien folgende phonologische Prozesse, die demnach physiologisch sind, also altersgemäß zu erwarten:

Britta Weinbrandt - Faszination Aussprache - Über sprachliche Entwicklung

Kinder, die über die angegebenen Zeitpunkte hinaus die geschilderten Prozesse zeigen, entwickeln sich immer noch physiologisch, sie sind jedoch phonologisch verzögert. Erst wenn ALLE Frikative vom Prozess der Plosivierung betroffen wären oder ALLE unbetonten Silben weggelassen würden, dann wäre es nicht mehr physiologisch sondern behandlungswürdig. Viele dieser nur entwicklungsverzögerten Kinder werden von einer Sprachförderung im Kindergarten gut erreicht. Eine Verzögerung von mehr als sechs Monaten gilt allerdings auch hier als signifikant und sollte ärztlich untersucht und logopädisch behandelt werden.

Konsequente phonologische Störung

Es gibt jedoch phonologische Prozesse, die in keiner physiologischen Ausspracheentwicklung vorkommen. Kinder mit einer konsequenten phonologischen Störung zeigen eine Phonologie, die in in mindestens einem Laut unphysiologisch, also sozusagen pathologisch ist. Solche nicht im regelrechten Phonologieerwerb beobachtbaren phonologischen Lautersetzungsprozesse sind z.B.:

  • Vokalveränderungen (Banane→ Bonane) (Veränderte Vokale sind ein generelles Warnzeichen, denn sie deuten sehr häufig auf eine Hörstörung hin)
  • Tilgung betonter Silben (Kanne → Ne)
  • Rückverlagerungen (sind nur bei /sch/ → /ch1/ („ich“) Tisch → Tich physiologisch) (häufig beobachtete pathologische phonologische Rückverlagerungsprozesse sind Tanne → Kanne, Trecker → Krecker, Fisch → Sisch, Ball → Baj, Teller → Tejer)
  • Anlautprozess: Tilgung von Konsonanten am Wort-/Silbenanfang (Kanne → Anne)
  • Silbenverdopplung (Die erste betonte Silbe wird vollständig wiederholt und dadurch wird das Wortende ersetzt: Teller → Tette, Ball →Baba)
  • Ersetzungen durch /h/ sind nur bei /r/ physiologisch (Schule → Hule)
  • Ersetzungen mehrerer Lautgruppen am Wortanfang durch /d/ (hier ist nicht die alleinige Vorverlagerung von /g/ wie in „dedangen“ gemeint, welches für sich genommen physiologisch wäre)
  • Reihenfolgenvertauschungen (Gabel → Bale)
  • Hinzufügungen von Vokalen und Konsonanten (Telefon → Telefron, blau → belau)

Störungen dieser Art zeigen ca. 20 bis 30 Prozent der ausspracheauffälligen Kinder. Wenn mir also ein solcher Prozess bei einem Kind geschildert wird, kann ich zumindest darum bitten, dass die Eltern es beim Kinderarzt oder HNO-Arzt vorstellig werden lassen.

Nie werde ich das Mädchen vergessen, das über ihre Schwester sagte, sie „i‘ au‘ ‚on ein ‚orul’in‘ – ist auch schon ein Vorschulkind“. Das ist dann wirklich keine Zauberei zu erkennen, dass hier der Ausspracherwerb therapeutisch unterstützt werden sollte.

Sehr häufig sind die Betroffenen im Alter von 2 Jahren erstmals als „Late Talker“ aufgefallen. Man hat herausgefunden, dass Kinder, die mit 24 Monaten noch keinen Wortschatz von über 50 Wörtern entwickelt haben und auch noch nicht beginnen, zwei Wörter miteinander zu kombinieren, gegenüber sich unauffällig entwickelnden Kindern ein 20-fach erhöhtes Risiko tragen, eine Sprachstörung zu entwickeln. Die Störungsursache liegt am phonologischen Erkennen und mangelnder Speicherung von Lautmaterial. Sie tragen gleichfalls das Risiko, später eine Lese-Rechtschreibschwäche auszubilden. 60 bis 70 Prozent dieser Kinder haben Legastheniker in der Verwandtschaft und zeigen demnach eine genetische Disposition. Als Vorschulkinder profitieren sie deutlich von Hörwahrnehmungsübungen.

Ich habe in einem weiteren Artikel weitere Informationen und eine umfangreiche Übungssammlung zur Förderung der phonologischen Bewusstheit gesammelt. Durch eine alleinige Sprachförderung im Kindergarten werden Kinder mit einer konsequenten phonologischen Störung ihre massiven Sprachverarbeitungsprobleme jedoch kaum überwinden können und benötigen dringend eine logopädische Therapie. Bei ihnen sind die Grenzen der Möglichkeiten von Sprachförderung im Kindergarten schnell erreicht.

Inkonsequente phonologische Störung

Bei der inkonsequenten phonologischen Störung treten physiologische und pathologische Lautveränderungsprozesse nebeneinander auf. Diese Gruppe macht zum Glück nur ca. 3 bis 5 Prozent der ausspracheauffälligen Kinder aus und ist damit eher selten. Häufig durchlebten die Betroffenen auffällige Schwangerschaften und Geburten, eventuell liegt eine minimale Hirnstörung vor. Die Störung liegt hier auf der Ebene des motorischen Programmierens. Die Kinder sprechen das gleiche Wort mehrfach verschieden aus. Innerhalb eines Benenntests werden von 25 Wörtern mindestens 40 Prozent inkonsequent ausgesprochen. So kann z.B. bei dreimaligem Benennen das Krokodil einmal richtig, einmal als Totodil und einmal als Kokodil bezeichnet werden, oder Wasser als Hatter, Waffer und sogar Laller. Frosch kann Fos, Rosch, Frot oder Fros werden. Es wird deutlich, dass das Kind noch kein System erworben hat, nach dem es phonologisch vorgeht. Dazu kommt meist ein äußerst eingeschränktes Arbeitsgedächtnis. Gleichzeitig haben diese Kinder häufig ein starkes Störungsbewusstsein. Sie sollten frühzeitig umfassend untersucht werden und Hilfe in Form von vielfältig möglichen Therapien erhalten.

Ein paar Worte zum Abschluss

Mir geht es nun nicht darum, den Leser zu einer eigenen Diagnostik bei seinen Kindern anzuregen. Ich weiß selbst, wie kompliziert das ist. Unter anderem die Tatsache, dass nach den Erkenntnissen von Dodd und Fox-Boyer sich die ganze Nomenklatur und auch die therapeutische Vorgehensweise änderte, führte dazu, dass ich mich nur 12 Jahre nach der Ausbildung für den Studiengang „Angewandte Therapiewissenschaft: Logopädie“ entschied. Dort hatte ich das große Glück, von Annette Fox-Boyer als Studiengangsleitung und Dozentin  direkt lernen zu können. Inzwischen fällt es mir nach jahrelanger Einarbeitung natürlich leicht. Aber es braucht eben diese Einarbeitung.

Ich möchte an dieser Stelle lediglich dafür sensibilisieren, dass Ausspracheprobleme bei Kindern unter Umständen sehr starke Auswirkungen auf den Erfolg im Schrifterwerb und die spätere Schullaufbahn haben können, und dass man diese ernst nehmen sollte. Manchmal sind Kinder im Bereich der phonologischen Bewusstheit weiterhin betroffen, selbst wenn sie inzwischen unauffällig sprechen gelernt haben.

Da man als Nichtlogopäde Kindern normalerweise nicht einfach anhört, um welche Art der Ausspracheproblematik oder Störung der phonologischen Bewusstheit es sich handelt, wenn sie Laute miteinander ersetzen (oder eben auch nicht mehr), ist es besonders wichtig, sich Rat und Hilfe zu suchen. Ich rate insbesondere dazu, wenn beim Kind Frustrationen auftreten, weil es nicht verstanden wird. Hier gilt: Je früher, desto besser. Die gute Nachricht ist: Je nach Studie sind nur 6 bis 15 Prozent der Kinder einer Altersgruppe überhaupt von Sprachentwicklungsstörungen betroffen!

Spaß verbreiten mit mundmotorischen Übungen für Kinder

Die Zungengeschichte von der Maus

Wenn es eine Sache gibt, die ich in meinen Kita-Seminaren als „Renner“ bezeichnen könnte, dann ist es meine Mundmotorikgeschichte. Ich führe sie meistens vor, wenn es um das Thema Sprachförderung (aber auch um Stimmprävention) geht. Wie mir zurückgemeldet wird, ist sie ist zum beliebten Spiel im Morgenkreis geworden.

Mundmotorische Übungen sind inzwischen selbst unter Logopäden umstritten. Ihre Wirksamkeit ist offenbar noch nicht in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden. Bei den meisten Ausspracheauffällgkeiten handelt es sich um phonologische Hörwahrnehmungsprobleme, sodass die Kinder von differenzierenden Lautwahrnehmungsübungen profitieren. In meinem Artikel „Faszination Aussprache“ habe ich ausführlich darüber geschrieben.

Mundmotorische Übungen werden also eher bei Kindern mit phonetischen Störungen eingesetzt, also den klassischen Artikulationsstörungen, bei denen die Zunge etwas anderes macht, als sie soll. Lispeln zum Beispiel. Es hilft auch bei bei Störungen des orofacialen Gleichgewichtes, also eines Ungleichgewichtes in der Gesichtsmuskulatur, weil hier gleichzeitig die Förderung der sensorischen Wahrnehmung, die Förderung der Koordination im Mundraum sowie die Förderung der Muskelfunktionen von Lippen, Zunge, Wangen- und Kaumuskulatur und dem Gaumensegel angesprochen werden.

Ich halte es so damit: Zungenspiele machen Spaß, also biete ich sie an und verschenke sie an meine Patientenkinder als Spiele im Hausaufgabenordner. Nebenbei benutze ich sie, um mir einmal die Situation beim einzelnen Kind entspannt anzugucken. Für mich gehört das Erzählen dieser Geschichte also zu meiner persönlichen Diagnostikroutine.

Laut Wolfgang Wendlandts Klassiker „Sprachstörungen im Kindesalter“ sollte ein Kind bereits am Ende des ersten Lebensjahres in der Lage sein, den Mund überwiegend geschlossen zu halten, seinen Speichel hinunterzuschlucken und den Löffel mit Zunge und Lippen abzulecken.

Die Realität sieht sehr oft anders aus.

Und es handelt sich hier durchaus nicht um eine Luxusangebot. Dies kann ich verdeutlichen, indem ich mir angucke, was denn eigentlich eine der Folgeauswirkungen einer nicht gut ausgereiften Mundmotorik ist:

Die Mundatmung.

Struck und Mols beschreiben in „Atem-Spiele“, was passieren kann, wenn ein Kind nicht lernt, durch die Nase zu atmen.

Da es zu Haltungsschäden durch die vernachlässigte oder behinderte Übung der Atemmuskulatur kommt, kann es zu Fehlformen der Wirbelsäule führen. Das habe ich in meiner Praxis schon gesehen.

Der Lymphfluss wird durch mangelnde Nasenbenutzung und pathologisches Schluckmuster nicht genügend angeregt, deswegen kommt es zu Lymphstau im Gesichtsbereich – was dann dazu führt, dass die Kinder durch ihre eingeschränkte Mimik etwas verlangsamt wirken und automatisch in die falschen Schubladen gesteckt werden.

Bedingt durch mangelnde Belüftung der Verbindung zum Mittelohr sammelt sich Schleim im Mittelohr, was wiederum die Hörfähigkeit einschränkt – und das ist bekanntlich der Killer jeglicher Sprachentwicklung und das erste, das bei jedem auffälligen Kind ausgeschlossen werden muss.

Unsere Atmung hat noch dazu die ganz wichtige Funktion, die Organtätigkeit anzuregen, und so kann es durch die verminderte Zwerchfelltätigkeit zu Darmträgheit und einem Blähbauch kommen, wenn diese massierende Wirkung auf Magen und Darm entfällt. Ein weiterer Faktor kann sein, dass zu wenig Kauarbeit geleistet wird und die Nahrung nicht genügend zerkleinert wird.

Es geht noch weiter.

Flache Atemweise führt zu Luftnot beim Sprechen und Singen, sodass stimmliche Fehlfunktionen entstehen und Stimmprobleme auftreten können. Dabei entsteht eine mangelnde Sauerstoffversorgung des Organismus, was Konzentrationsstörungen auslöst.

Schon überzeugt?

Es gibt schon ganz einfache Pusteübungen und Saugübungen. Die Arbeit mit Kindern darf sich für die Kinder nie wie Arbeit anfühlen. Ich verpacke also das meiste in Spiele – und kann nach über zwei Jahrzehnten inzwischen jedes Spiel irgendwie sinnvoll zum Erreichen eines Therapieziels umfunktionieren. Dabei bin ich ein großer Fan davon, bereits bestehendes Material zu verwenden.

So ist mein Artikel über die von mir zusammengetragenen Einsatzmöglichkeiten des Kinder Memory zur Förderung der Vorläuferfähigkeiten des Lese-Rechtschreiberwerbs mein bislang erfolgreichster Artikel gewesen.

Zur Förderung der mundmotorischen Fähigkeiten ist eine ganz beliebte Methode das Ansaugen von Gegenständen mit dem Strohhalm. Es dient nicht weniger als der Tonisierung und Kräftigung der Wangen-, Lippen- und Zungenmuskulatur, der Stärkung des Gaumensegels und der Aktivierung des Zwerchfells. Das empfohlene Mindestalter liegt hier bei vier Jahren.

Auch gilt es, dabei ein paar klitzekleine Regeln einzuhalten. Thoenes beschreibt in „Mundmotorik-Training rund ums Jahr“, wie wichtig es zum Beispiel ist, dass der Strohhalm sich in der Mitte der Lippen befindet, dass der Strohhalm mit den Lippen und nicht den Zähnen gehalten wird, dass das Kind eine lockere Lippenspannung aufweist, dass auf eine ökonomische Atmung geachtet wird, um Hyperventilation zu vermeiden, dass eine möglichst aufrechte Körperhaltung eingehalten wird, um die Atmung nicht zu beeinträchtigen.

Noch Fragen?

Wenn nicht: Schnappt euch euer Quips oder Colorama oder andere Spiele, die mit dem Einsetzen von Formen zu tun haben – und saugt sie, anstatt die Hände zu nehmen, einfach mal mit dem Strohhalm an. Viel Spaß!

Aber ich hatte versprochen, mich zu trauen, meine Mausgeschichte vorzumachen. Ich bin stolz, offenbar nur einen Punkt vergessen zu haben – das ist live. Findet jemand die fehlende Übung?

Hier ist sie nun:

Die Geschichte von der Maus

Es ist morgens, 7 Uhr. Unsere Maus hat verschlafen. Hier schläft sie:
(Zunge liegt auf dem Schlafplatz am Gaumen hinter dem Zahndamm)

Plötzlich wacht sie auf. Sie läuft zum Fenster und gähnt erst einmal

(Offener Mund)

und schaut rechts und links heraus.

(Zunge rechts/links aus dem Mund)

Doch weil sie nicht genug sehen kann, steigt sie auf das Balkongeländer und läuft dort hin und her,

(Zunge leckt Unterlippe ab)

um zu sehen, was draußen passiert. Weil das Wetter so schön ist, flitzt sie vor lauter Freude noch einmal um den Fensterrahmen herum – Und noch einmal anderen Weg herum!

(Oberlippe in beide Richtungen ablecken)

Da bekommt die Maus Lust, einen Spaziergang zu machen. Sie läuft ganz schnell aus dem Haus.

(Zunge gerade herausstrecken)

Doch kaum ist sie draußen, fällt ihr auf, dass sie ihre Sonnenbrille vergessen hat. Sie fährt mit dem Fahrstuhl wieder hoch, aber der spinnt.

(Lifteln: Zunge im Mund jeweils hinter den Schneidezähnen rauf und runter)

Endlich ist sie im zweiten Stock, Sonnenbrille holen.

(Zunge zur Nase)

Dann holt sie sich noch aus dem Keller etwas zu trinken.

(Zunge ans Kinn)

Sie wirft die Tür zu und – oh nein! Jetzt hat sie sich die Pfote eingeklemmt!

(vorsichtig auf die Zunge „beißen“)

Tat aber nicht weh! Die Maus kommt auf ihrem Spaziergang zuerst zum Spielplatz. Dort steigt sie auf die Wippe

(Zunge raus, rauf und runter)

und fährt Karussell.

(Lippen mit der Zunge umfahren)

Und weil es so schön war, nochmal anderen Weg herum!

(Lippen mit der Zunge anders herum umfahren)

Dann macht sie noch vor lauter Freude einen Handstand.

(Zunge an den Gaumen hinter den Zahndamm)

Die Maus geht weiter und trifft unterwegs eine andere Maus. Die beiden lächeln sich an.

(Lippen breitziehen)

„Hallo, willst du nicht mit mir spazieren gehen?“ Doch die andere Maus hat ein Gipsbein und kann nicht gut gehen. Sie humpelt nur.

(Schnalzen)

Die beiden winken sich zum Abschied nochmal zu.


(Zunge rausstrecken und schnell hin und her bewegen)

So geht unsere kleine Maus allein weiter. Sie klettert auf einen Berg


(Zunge an die Nase)

und taucht im Bach nach Fischen.

(Zunge ans Kinn)

Dort plappert sie ein wenig mit ihrem Kumpel, dem Karpfen


(Fischmaul auf und zu)

und ihrer Freundin, der Ente.

(Wangen einziehen, vorgestülpte Lippen auf und zu)

Als sie wieder rausklettert, wartet da schon eine Katze und faucht sie an.

(Fauchen)

Unsere Maus pfeift vor lauter Angst.

(Pfeifen)

Dann fasst sie allen Mut zusammen

(Bäh! – Zunge raus)

und beschließt, sich zu retten, und zwar so:

(Lippenflattern)

Danach will sie nur noch nach Hause und macht sich wieder auf den Heimweg. Unterwegs muss sie noch durch einen Tunnel.

(Lippen nach vorn stülpen)

Achtung, da kommt ein Zug!

(SCH SCH SCH)

Zu Hause angekommen, hat sie dann großen Hunger und isst sich ganz rund und dick.

(Achtung schwer: Zungenspitze abwechselnd breit und spitz machen)

Ein Nachtisch passt auch noch rein.

(Wangen aufblasen)

Jetzt erst einmal Zähne putzen.

(Mit der Zunge rundherum die Zähne ablecken, Richtungswechsel)

Danach sucht sie sich ein schönes Schlafplätzchen

(Zunge in rechte und linke Wangentasche)

und deckt sich gemütlich zu.

(Lippen einziehen über die Zähne – „Opamund“

Sie erinnert sich daran, wie aufregend ihr Tag war und bricht in ein Freudengeheul aus.

(Zunge bewegt sich zwischen den Lippen auf und ab, „bdlbdlbdl“)

Dann legt sich wieder hin zum Schlafen. Gute Nacht, Maus!

(Zunge liegt oben am Schlafplatz hinter dem Zahndamm)

Zum ersten mal ist mir eine sehr kurze Version dieser Geschichte bei Urike Franke in „Artikulationstherapie bei Vorschulkindern“ begegnet. Und da ich wiederum sehr vielen kreativen pädagogischen Fachkräften und phantasievollen Kindern begegne, wächst die Geschichte eigentlich immer noch weiter. Ich danke!

Wer mir also noch gern eine Erweiterung schenken möchte, oder die Geschichte für den Einsatz mit eigenen Kindern als pdf-Datei erhalten möchte (denn es geht natürlich nicht darum, mein Video zu zeigen, sondern es selbst zu machen!!!), nutze bitte unkompliziert mein Kontaktformular.

Viel Spaß beim Nachmachen!

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    Informationen über hochbegabte Kinder und Underachiever

    Kindern mit besonderen Begabungen oder hochbegabten Kindern werden häufig besondere Eigenschaften zugeschrieben, wie zum Beispiel ein ungewöhnlicher großer Wortschatz, ein eigenmotivierter früher Schriftspracherwerb und zu wenig Schlaf.

    Auch, wenn es unzählige Erscheinungsformen von Hochbegabung gibt, kann die Beschäftigung mit diesen typischen Eigenschaften einen ersten Hinweis geben, wenn der Verdacht besteht, dass ein Kind sich anders entwickelt als seine Altersgenossen. Zum Einstieg in das Thema gibt es diverse Checklisten, beispielsweise diese von der Psychologischen Praxis Beratrain. Hanna Vock nennt passend dazu in ihrem Handbuch Hochbegabtenförderung in Kindertagesstätten anschauliche Beispiele von Kindern.

    Es gibt es bundesweit zur Zeit ca. 250.000 hochbegabte Schulkinder. 69 Prozent aller Hochbegabten zeigen sich „sozial unauffällig“. Im Umkehrschluss wären somit 31 Prozent in irgendeiner Art auffällig. Die Gruppe der Kinder, deren vorhandenes Potenzial sich nicht automatisch in Leistung umsetzt, wird auf zwölf Prozent der Hochbegabten geschätzt. Dieses Phänomen wird auch als Underachievement bezeichnet (erwartungswidrig schlechte (Schul)leistung). Bei Underachievern besteht eine Diskrepanz zwischen dem hohen geistigen Potenzial und der gezeigten Schulleistung. Sie werden allgemein und insbesondere von Lehrkräften selten in ihrer Begabung erkannt. Die Geschlechterverteilung wird mit mindestens 2:1 Jungen:Mädchen angegeben. Unterschiedliche Begabungskonstellationen sind höchst individuell zu betrachten. Entwicklungsprozesse und Veränderungen sind durch neue Impulse und Modifikationen möglich. Eine umfangreiche Diagnostik ist nötig, um entsprechend fördern zu können.

    Britta Weinbrandts Bachelorarbeit zu Elternberatung von hochbegabten Kindern - Intelligenzkurve

    Die Messung eines Intelligenzquotienten von mindestens 130 in einem Intelligenztest ist das am häufigsten verwendete Hochbegabungskriterium und die präferierte Möglichkeit, Hochbegabung zu diagnostizieren. Statistisch betrachtet entspricht dies circa zwei Prozent der Gesamtbevölkerung. Bei diesem Kriterium wird von einer nachgewiesenen allgemeinen geistigen Disposition ausgegangen, die über ein Talent in einem spezifischen Bereich hinausgeht. Eltern, die eine besondere Begabung bei ihrem Kind vermuten, sollten im Falle von auftretenden Schwierigkeiten eine Intelligenztestung anstreben, z.B. in einer psychologischen Praxis, sozialpädiatrischen Zentren oder Erziehungsberatungsstellen. Bereits eine erfolgte Diagnose ermöglicht die Sicht und Einstellung der Angehörigen auf ihre Kinder zum Positiven zu verändern.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hochbegabung nicht mehr nur in Bezug auf Leistung, sondern als individuell angelegtes besonderes Potenzial gesehen wird, das es durch Schaffen passender Umweltbedingungen herauszufordern gilt.


    Hochbegabte Kinder unterscheiden sich erst einmal nicht von anderen. Die Hochbegabung kann jedoch als Schutzfaktor gegen negative Entwicklungen gelten. Allerdings gibt es besondere Risikogruppen. Dazu zählen hochbegabte Mädchen, verhaltensauffällige Kinder, Migrantenkinder und Underachiever. Darüber hinaus können auch bei Hochbegabten Teilleistungsstörungen oder Behinderungen auftreten. Wenn diese Kinder keine Leistung zeigen, ist die Gefahr groß, dass sie gar nicht erst als hochbegabt erkannt werden. Die drei am häufigsten genannten Schwierigkeiten, die mit einer Hochbegabung einhergehen können, sind eine spezifische Lernbehinderung, ADHS und Autismus.

    Mögliche Problembereiche hochbegabter Kinder

    Die folgende, von mir um ein paar Punkte erweiterte Liste ist einer Studie von Anna J. Wittmann entnommen, die die Beratungsbedarfe von Eltern untersucht hat, die sich an die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind gewendet haben. 

    Britta Weinbrandt - Bachelorarbeit zu Elternberatung von hochbegabten Kindern - Problembereiche hochbegabter Kinder

    Im Bereich Anforderung und Leistung nimmt das Underachievement die wichtigste Rolle ein. Es unterliegt einem sehr individuellen Bedingungsgefüge. Bereits schulische Unterforderung kann mit einhergehender Langeweile und Verlust der Lernmotivation ursächlich für Lernschwierigkeiten sein. Viele hochbegabte Kinder verfügen zudem über nur mangelnde Lern- und Arbeitstechniken, da ihnen aufgrund hoher Auffassungsgabe Lerninhalte häufig in der Grundschule noch zufliegen und sie erst in späteren Klassen feststellen, dass sie keine Strategien erworben haben. Bei höherer Komplexität kommt es schließlich zu Defiziten, die in einer Verschlechterung der Schulleistungen münden. Ausgeprägte Vermeidungs- und Verweigerungsstrategien können die Folge sein. Diese Entwicklung kann in Teufelskreise führen: Wenn Underachiever aufgrund geringer Anstrengung schlechte Noten erhalten, sinkt ihr Selbstwertgefühl. Gute Noten werden von ihnen als Glück betrachtet und nicht als Belohnung eigener Leistung, was bedeutet, dass die Kinder keine Selbstbestätigung erhalten.

    Auch der besondere Perfektionismus dieser Kinder kann, gepaart mit hohem Selbstanspruch, Angst vor Fehlern, geringer Übungsbereitschaft und geringer Frustrationstoleranz, zum Problem werden. Sie können so genaue Vorstellungen von den Werken haben, die sie planen, dass sie beispielsweise beim ersten Scherenschnitt oder Pinselstrich aufgeben und nie wieder einen zweiten Versuch starten, weil sie nicht ihren eigenen Ansprüchen genügen. So fühlen sie sich zunehmend den Anforderungen nicht gewachsen. Aufgrund der entstehenden Prüfungsangst erhalten sie wiederum schlechte Noten. Das Selbstwertgefühl der Underachiever sinkt weiter und ein neuer Teufelskreis beginnt. Die Kinder werden unzufrieden und halten sich für unbeliebt. Durch die emotionalen Probleme sinkt die Impulskontrolle und sie zeigen abweisendes und aggressives Verhalten, ebenso kann es auch zu geistesabwesendem, aufsässigem, angepasstem oder ignorantem Verhalten Unterforderter kommen. Verhaltensauffälligkeiten lassen wiederum die soziale Anerkennung sinken, wodurch das Selbstwertgefühl weiter beeinträchtigt wird. Der Teufelkreislauf beginnt erneut.

    Britta Weinbrandt - Bachelorarbeit zu Elternberatung hochbegabter Kinder - Teufelkreis Underachievement

    Für den Bereich Logopädie ist die Tatsache wichtig, dass die doppelt außergewöhnlichen Kinder ausgeprägte Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (LRS) haben können. Diese treten bei fünf bis zehn Prozent aller Schulkinder auf, wobei die Fertigkeiten gemessen an Alter, Intelligenz und Beschulung deutlich unter der zu erwartenden Leistung liegen. Hochbegabte denken häufig zu schnell, so dass die Feinmotorik der Hand nicht nachkommen kann. Ihre Fehler zudem häufig „durchdachter“ als die anderer Kinder. So können sie bei Anwendung der häufig vermittelten Regel, dass Anfassbares groß geschrieben werde, das Wort „Ofen“ im Winter als „ofen“ schreiben – denn dann ist das Anfassen ja gefährlich. Die Schwierigkeiten können sich bis zu einer generellen Schreibverweigerung auswachsen, was wiederum in die oben dargestellten Teufelskreise führen kann. Darüber hinaus werden Anpassungsleistungen hochbegabter Kinder beschrieben, die bis zur Umstellung der angeborenen Händigkeit gehen und trotz Begabung zu ausgeprägten Lernstörungen führen können.

    Die Probleme im zwischenmenschlichen Bereich können daraus entstehen, dass hochbegabte Kinder aufgrund ihrer Andersartigkeit einem erheblichen Spannungsfeld ausgesetzt sind. Oftmals können sie wegen Interessensunterschieden und Entwicklungsvorsprüngen mit Altersgenossen keine angemessenen Freundschaften eingehen. Isolation kann die Folge sein. Auch wird, wer anders ist, leicht zum Opfer. Daher ist Mobbing ein Thema, das bei hochbegabten Kindern behutsam beobachtet werden sollte. Hierbei kommen die hochbegabten Kinder nicht nur als Opfer, sondern auch als mögliche Täter in Frage. Denn wenn sie beispielsweise in nicht fruchtenden Anpassungsversuchen eigene Wünsche unterdrücken, so dass sich psychosomatische Symptome entwickeln, die schließlich in einen Rückzug führen, können sich depressive Symptome dann so verstärken, dass die Kinder schließlich rebellieren. Aggressivität ist somit als Ausdruck einer Enttäuschungsspirale erklärbar. Solche negativen Verhaltensweisen stellen jedoch für nicht geförderte Hochbegabte auch einen stimulierenden Zeitvertreib dar.

    Auch Konflikte in der Familie treten auf, und dies nicht nur im Falle einer negativen Entwicklung. Ständige Fragen, Kritik und Hinterfragen der Eltern durch ihre hochbegabten Kinder sowie deren hoher Anspruch auf Individualität und Selbständigkeit können bereits zu beachtlichen Auseinandersetzungen in den Familien führen. Eltern müssen die häufig asynchrone Entwicklung verstehen lernen und beispielsweise mit dem hohen Energielevel ihrer Kinder zurechtkommen. Ein hochbegabtes Kind kann auch in der elterlichen Beziehung Probleme bereiten.  Auch von Nachbarschaftsproblemen wird berichtet. Für die Kinder besteht eine weitere Belastung durch Etikettierung, beispielsweise als „notorischer Besserwisser“.

    Im Falle der verfehlten Leistungsmotivation kann es zu regelrechten Kämpfen um die Hausaufgaben kommen. In der Schule kann es durch unermüdliches Nachfragen, Unterrichtsstörung bis zum Clownverhalten oder Nebenbeschäftigungen bis hin zum Abschalten zu Konflikten mit Lehrern kommen.

    Im innerpsychischen Bereich erscheint die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als maßgeblich, die bei bis zu 17,8 Prozent aller Kinder gestellt wird. Bei Hochbegabten ist ADHS jedoch umstritten. Einige Autoren halten die Diagnosestellung bei Hochbegabten für gerechtfertigt. Andere beschreiben gar die Behandlung von Kindern, die die Diagnosen Hochbegabung, Autismus und ADHS in sich vereinen. Viele jedoch erwähnen jedoch eine mögliche Überlappung der ADHS-Symptomatik mit bestimmten Charakteristika der Hochbegabung, die zu einer ADHS-Fehldiagnose führen können: Hochbegabte Kinder zeigen demnach Unaufmerksamkeit eher in nicht herausfordernden Lernsituationen, während „echte“ ADHS-Symptome typischerweise unabhängig von der Umgebung auftreten. Viele der ADHS-Kinder weisen eine höhere Kreativität auf.

    Viele Hochbegabte sind zudem von Hochsensitivität betroffen, sprich eine schnellere, tiefere und feinere Verarbeitung der Sinneswahrnehmung. Die Betroffenen haben deutlich niedrigere Reizschwellen und sind übererregbar. Somit besteht das Problem der Reizüberflutung. Hochbegabte Kinder erleben ihre Umwelt und ihre Gefühlsregungen potenziert und weisen gleichzeitig eine geringere emotionale Stabilität auf.  Häufig wird jedoch übersehen, dass die emotionale Reife altersgemäß sein kann, jedoch in ihrer Diskrepanz zur kognitiven Entwicklung dazu unreif wirkt. Kinder schaffen es, sich woanders angepasst und ruhig verhalten, um dann zum Leidwesen ihrer Familien zu Hause die Spannung abzulassen. Mehr Informationen zu diesem Thema finden sich in meinem Blog über Hochsensitivität.

    Erhöhte nervliche Erregung, insbesondere wenn der Betreffende nicht weiß, woher diese nervliche Erregung kommt, kann zu erhöhter Unsicherheit und Ängstlichkeit führen. Angst ist immer geprägt durch einen körperlichen Anteil wie Herzklopfen und Schwitzen, einen gedanklichen, gefühlsmäßigen Anteil, beispielsweise der Vorstellung, sterben zu müssen, und einen Verhaltensanteil, zum Beispiel Flucht. Sie kann Kinder in ihrem Funktionieren äußerst beeinträchtigen und blockieren. Ebenso treten psychosomatische Beschwerden in Kombination mit vielen Störungsbildern auf. Spannungskopfschmerzen, Migräne, Bauchschmerzen bis hin zu Bettnässen und Tics werden daher häufig geschildert.

    Im schlimmsten Falle endet eine solch negative Entwicklung in Suizidalität. Die Kinder und Jugendlichen sehen keinen Ausweg mehr. Diese anschauliche Verdeutlichung möglicher Leidenswege hochbegabter Kinder stammt von Rahe:

    Britta Weinbrandt - Bachelorarbeit zur Elternberatung hochbegabter Kinder - Leidensweg hochbegabter Kinder nach Rahe

    Um eine solche Negativspirale zu verhindern, erscheint es außerordentlich wichtig, Entwicklungsauffälligkeiten jeglicher Art ernst zu nehmen und ihnen auf den Grund zu gehen.

    Hinweise zur Förderung hochbegabter Kinder

    Um im individuellen Fall einer positiven Entwicklung weiter förderlich sein zu können, gibt es eine Auswahl (therapeutischer) Hilfsmöglichkeiten und auch bestehender Hilfsorganisationen, an die man sich zwecks weiter führender Beratung und Intervention wenden kann:

    • Einen besonders wichtigen Schritt stellt die Anregung zur Ausübung eines selbst gewählten Hobbys dar, in dem die Kinder ihre Stärken spüren und positive Erfahrungen machen können. Hier kann es vorkommen, dass manche Kinder sich einen recht gefüllten Wochenplan aussuchen, andere verweigern sämtliche Angebot, die ihnen gemacht werden.
    • Jutta Billhardt vom Verein Hochbegabtenförderung riet hochbegabten Kindern generell aufgrund der häufig beobachteten motorischen und emotionalen Asynchronien zur Durchführung einer Ergotherapie. Diese gibt es in Gruppen- oder Einzeltherapien, die die Förderung der fein- und grobmotorischen Körper- und Bewegungsplanung und -Koordination zum Ziel haben. Auch hier kann die Entwicklung allgemeiner Arbeits- und Lerntechniken stattfinden, ebenso die Förderung der Kreativität im Sinne von Problemlösungsverhalten und Entwicklung von Anpassungsstrategien. Die Kinder können in eigenen Aufgaben zielbewusst auf ein (gemeinsames) Ergebnis oder Produkt hinarbeiten, Teamfähigkeit erwerben und Freundschaften schließen, um dadurch Selbstvertrauen und Handlungkompetenz zu erlangen. Unter Umständen, wenn beispielsweise starke motorische Unsicherheiten und ein angestrengtes Schriftbild beobachtet werden, empfiehlt sich eine Händigkeitsberatung.
    • Im Bereich der Physiotherapie bieten sich beispielsweise Psychomotorikkurse und die Förderung der sensorischen Integration an. Der Verlauf des neuromotorischen Aufrichtungsprozesses und eventuell vorhandene Ersatzmotorikmuster beziehungsweise persistierende frühkindliche Reflexe sollten abgeklärt werden. Ihre Therapie ist aus der Vojta-Therapie begründet. Auch die Durchführung einer Bobath-Therapie käme der Forderung von Billhardt um Unterstützung der motorischen Entwicklung entgegen.
    • Das Erlernen von Entspannungstechniken erscheint zum Abbau von Sekundärsymptomatiken sinnvoll.
    • Die Durchführung einer Gesprächspsychotherapie oder eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Intervention ist zum Beispiel in Fällen depressiver oder verhaltensauffälliger Entwicklung ebenfalls angebracht. Psychologische Hilfen können kind- oder familienzentriert angedacht werden.
    • Erziehungsberatungsstellen und Schulpsychologische Dienste stehen zur Verfügung. An den Kultusministerien der Länder gibt es Ansprechpartner und Beratungslehrer für die verschiedenen Schulformen. Weitere regionale Beratungsstellen finden sich, häufig an den lokalen Universitäten und Universitätskliniken. Und auch die beiden großen Elternverbände führen Beratungen durch: Der Hochbegabtenförderung e.V. bietet zudem spezielle Förderkurse für hochbegabte Kinder und die DGhK organisiert regionale Elterntreffen sowie bundesweite Familientreffen.
    • Es gibt spezielle Schulen, die sich auf die Hilfe hochbegabter Kinder spezialisiert haben. In Hamburg sind dies die Brecht-Schule, die hochleistende Kinder aufnimmt, und die OKO Private School Talent-Schule Hamburg, die sich in einem einzigartigen Konzept zusätzlich auch der Underachiever annimmt.
    • Generell erscheint es sinnvoll, Kontakt zu anderen Betroffenen aufzunehmen. Eltern werden entlastet, wenn sie im Austausch mit anderen erfahren, dass sie mit den Herausforderungen, mit denen sie durch die Andersartigkeit ihrer Kinder konfrontiert sind, nicht allein sind. Die Vorurteile, die einem mit hochbegabten Kindern begegnen können, sind nicht zu unterschätzen. Viele denken, dass Eltern sich für etwas Besseres halten oder dass sie ihre Kinder dressieren, Stichwort Tenniseltern oder Helikoptereltern.

    Insoo Kim Berg und Therese Steiner formulieren Vorannahmen darüber, was Eltern und Kinder sich im Umgang miteinander wünschen: Eltern wollen stolz auf ihr Kind sein und einen guten Einfluss auf ihr Kind haben, sie möchten positive Dinge über es hören und wissen, was ihr Kind gut kann. Sie wollen ihm eine gute Ausbildung und Erfolgschancen eröffnen und sehen, dass die Zukunft ihres Kindes gleich gut oder besser sein wird, als die ihrige war. Außerdem wünschen sie sich eine gute Beziehung zu ihrem Kind. Kinder wiederum möchten, dass ihre Eltern stolz auf sie sind, sie wollen ihre Eltern und andere Erwachsene erfreuen und akzeptierter Teil des sozialen Kontextes sein, in dem sie leben. Kinder wollen neue Dinge lernen, aktiv sein und an Aktivitäten anderer teilhaben, sie wünschen sich, dass sie ihre Meinungen und Entscheidungen artikulieren und eine Wahl treffen können, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu darbietet.

    Die tatsächliche Situation, in der hochbegabte und hochsensitive Eltern und Kinder sich befinden, führt jedoch dazu, dass sie von anderen sehr oft schräg angeguckt werden, da sie die Kinder sich vielfach unerwartet verhalten und in kein Raster gesteckt werden können. Viele Menschen sind nicht sensibilisiert für die Probleme, die hochbegabte Kinder erleiden können. Und im Kontakt mit anderen bleiben diese Ressentiments meist unausgesprochen, welches Begegnungen für die Eltern mitunter schwierig machen kann. Es ist insbesondere für Kinder eine furchtbare Erfahrung, Ablehnung zu erfahren, die sich auf das Wesen der Kinder an sich bezieht. Ich möchte an dieser Stelle gern ein Plädoyer über die Einzigartigkeit von Kindern halten und verdeutlichen, dass Kinder sich ihre Gedankenwelt nicht aussuchen können. Niemand entscheidet sich dafür, sich mit den Dingen zu beschäftigen, mit denen er sich beschäftigt, vor allem nicht als Sechsjähriger in der heutigen Welt. Kinder brauchen von uns Antworten, mit denen wir ihnen zeigen, dass wir sie ernst nehmen.

    Insbesondere Donata Elschenbroich hat sich mit ihrer Zusammenfassung des „Weltwissen der Siebenjährigen“ sehr eingehend damit beschäftigt und den Entwurf einer ersten Liste gewagt.

    Ich kenne unzählige Familien, die nur mit gleichermaßen Betroffenen überhaupt über das Thema reden können. Ich hatte daher aufgrund meiner eigenen Erfahrungen das Bedürfnis, mich mit Eltern, Angehörigen und pädagogischen Fachkräften sowie meinen Berufskollegen über unsere Erfahrungen auszutauschen, damit wir dem, was auf uns zukommen kann, bestmöglich begegnen können. So entstanden die Seminare „Hochbegabte Kinder – eine Herausforderung im pädagogischen Alltag“ und „Hochbegabte Kinder in der logopädischen Therapie“.

    Seit September 2017 biete ich zusätzlich über die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V. einen Gesprächskreis Hochbegabung und Hochsensitivität in Güster an, der sich monatlich trifft, zur Zeit online. Hier können nach dem Motto „Anders zu sein ist auch irgendwie normal… wenn man sich mit Anderen zusammentut!“ auf Wunsch der Teilnehmer verschiedenste Themen angesprochen werden, wie:

    • individueller praxis- und lösungsorientierter Austausch in lockerer Runde
    • Klärung von Fragen und Informationen rund um die Themen „Hochbegabung“ und „Hochsensitivität“
    • Verbesserung von Beziehung und Kommunikation
    • Chancen und Risiken der Entwicklung (Motivation und Selbstwirksamkeit)
    • Forder- und Fördermöglichkeiten
    • Beschäftigung mit Fachliteratur

    Die Texte wurden größtenteils meiner 2012 entstandenen Bachelorarbeit „Hintergründe und Praxis der Elternberatung in der logopädischen Therapie hochbegabter Kinder“ aus dem Studium der Angewandten Therapiewissenschaften entnommen. Dort sind ebenfalls alle Quellenangaben verzeichnet.